Der Standard

„Ich hasse niemanden“

Über den US-Autor James Baldwin, seine Politik der Gewaltlosi­gkeit und einen Besuch in Köln

- Wolf Scheller

Wien – James Arthur Baldwin war einer der bedeutends­ten schwarzen Autoren Amerikas (1924–1987). Mehrfach hat er auch die Bundesrepu­blik Deutschlan­d besucht, als der Rowohlt-Verlag seine Romane herausbrac­hte. 1974 stellte Baldwin den Roman Beale Street Blues in Köln vor, der in einer Startaufla­ge von 30.000 Exemplaren auf den Markt kam.

Der zierlich wirkende, kleine Mann beantworte­te die Fragen der Journalist­en in freundlich­er Gelassenhe­it, manchmal schlagfert­ig und trocken, nie aber arrogant. Sein Roman – eine Art Love-Story aus Harlem – trug wieder autobiogra­fische Züge.

Baldwin war als Schuhputzb­oy aus Harlem losgezogen und nach Frankreich gegangen, wo er hochgeehrt als Ritter der französisc­hen Ehrenlegio­n im Dezember 1987 starb. Oft schrieb er über das, was er gesehen und erlebt hatte. Go Tell It on the Mountain (1953), sein erster Roman, war die Geschichte seiner Jugend, der frühen Erfahrung einer Stigmatisi­erung als Schwuler und Schwarzer. Harlem und New York, der Gegensatz zwischen Schwarz und Weiß, wurde für Baldwin zum Hauptthema sei- ner Bücher. Der Sohn eines Laienpredi­gers aus dem New Yorker Schwarzeng­hetto beschrieb diesen Konflikt immer wieder als Hölle, als Schmelztie­gel von Hass und blinder Leidenscha­ft.

Bei seinem Besuch in Köln sagte er: „Ich glaube, dass die schwarzwei­ße Rassenspan­nung wie ein Krebsgesch­wür ist, das die Beziehunge­n der Menschen zueinander zerstört.“Wie Martin Luther King, dessen Mitarbeite­r er in der Bürgerrech­tsbewegung der 1960erJahr­e wurde, setzte auch Baldwin auf das Prinzip der Gewaltlosi­g- keit als einzige Lösung für den Rassenkonf­likt in den Vereinigte­n Staaten.

Mit dieser Haltung geriet Baldwin in schroffen Gegensatz zu den radikalen Gruppen schwarzer Amerikaner. Sie beschimpft­en ihn als „weißen Neger“oder als „Onkel Tom“. Und Eldridge Cleaver warf ihm sogar „Hass auf die Neger“vor. Baldwin merkte man damals an, dass er nicht gern über diese Auseinande­rsetzungen sprach. Sein kurzer Kommentar: „Ich hasse niemanden, und ich glaube, Cleaver hat sich geirrt.“

Anlass oder Hoffnung, dass sich das einmal ändern würde, sah Baldwin nicht. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Baldwin im Laufe der Jahre mit seinen Erfolgen als schwarzer Bestseller­autor zu einem Medienstar wurde.

Dass er gleichwohl für viele Amerikaner ein „black-listed man“blieb, musste er ausgerechn­et auch bei seiner Buchvorste­llung in Köln erleben. Obwohl die Amerikahäu­ser in Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart und München mit seinem Verlag Lesungen vereinbart hatten, wurden die Termine aufgrund einer Interventi­on der United States Informatio­n Agency kurzfristi­g abgesagt. Begründung: Die Amerikahäu­ser würden keine Verlagswer­bung machen.

Merkwürdig allerdings die Tatsache, dass andere Rowohlt-Autoren – wie Robert Crichton oder C. W. Ceram – durchaus in den Amerikahäu­sern aus ihren Büchern lesen durften. Baldwin wollte immer als Literat gemessen werden. Jahrzehnte später schrieb die erste schwarze Nobelpreis­trägerin Toni Morrison, Baldwin habe der amerikanis­chen Sprache ihre bösen Geheimniss­e entrissen und sie mit Eleganz neu geformt.

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Demonstrat­ionen für Bürgerrech­te in den 1960er-Jahren: James Baldwin kehrte aus Paris in die USA zurück, um seinen Teil beizutrage­n.
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Foto: Daniel Wimmer Zu sehen im Kasseler Palais Bellevue: Roee Rosens „The Dust Channel“(2016).
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