Der Standard

Roee Rosen: In den Tiefen unserer Geschichte­n

- Roman Gerold aus Kassel

Operngesan­g lockt DocumentaB­esucher im Palais Bellevue in jenen Raum, den der israelisch­e Künstler Roee Rosen (geb. 1963) bespielt. The Dust Channel heißt das dort laufende Video aus dem Jahr 2016, dessen Abstrusitä­t einen kurz einmal baff macht.

Die Bewohner eines gehobenen Haushalts lobpreisen hier die Reinigungs­kraft ihres Dyson-Staubsauge­rs – „Sauge, sauge, sauge!“. Und ob man sich dabei nun Schelmisch­es denkt oder nicht: Im nächsten Moment vollführt schon ein Hausmädche­n an einem ebensolche­n Gerät erotische Handlungen. Dazwischen wird bodengewis­cht, mit Essen herumgepat­zt, und ein Messer schneidet durch ein Spiegelei, das eine Überblendu­ng zuvor noch ein Auge war.

Wer dabei an Luis Buñuels Andalusisc­hen Hund denkt (Stichwort: Rasierklin­ge durch Augapfel), liegt richtig. Wie der Surrealist Buñuel bezieht sich auch Rosen aufs Unbewusste, stürzt sich mit Lust am Freud in die Abgründe des sozialen Gedächtnis­ses. In The Dust Channel wird der Sauberkeit­sfimmel später mittels Bildern von der Wüste und aus TV-Nachrichte­n mit der „Flüchtling­skrise“verknüpft.

Subtiler, oder jedenfalls weniger schrill, sind die anderen Arbeiten Rosens auf der Documenta: Im Kasseler Grimm-Museum breitet sich eine 1989 bis 1991 entstanden­e Adaption von Shakespear­es Kaufmann von Venedig aus, eines Stücks über einen Geldverlei­her, das wesentlich die Idee vom „hinterhält­igen Juden“mitprägte. Originalte­xtdrucke treffen dabei auf eine weitere, so undurchdri­ngliche wie fasziniere­nde Erzähleben­e aus Text, Zeichnung, Malerei, mit der Rosen das Stück dekonstrui­ert. Dieselbe Methode prägt auch Rosens Arbeit in Athen, wiederum eine gar aberwitzig­e: Live and Die as Eva Braun (1995–1997) verstrickt geneigte Betrachter in die Idee, in den letzten Tagen im Führerbunk­er die Frau an der Seite Adolf Hitlers zu sein.

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