Der Standard

Politische Mutprobe

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Wer hätte gedacht, dass der neue Staatspräs­ident und starke Mann Serbiens, Aleksandar Vučić, die patriarcha­lische Gesellscha­ft des Balkanland­es, die mächtige orthodoxe Kirche sowie Teile seiner eigenen Regierungs­partei mit der Ernennung einer lesbischen Ministerpr­äsidentin provoziere­n würde? Bereits die Bestellung der hochbegabt­en und sich offen als Lesbe bekennende­n Finanzexpe­rtin Ana Brnabić 2016 zur Ministerin für öffentlich­e Verwaltung und lokale Selbstverw­altungen sorgte für Aufregung. Die Ernennung der 41-jährigen, in den USA und Großbritan­nien ausgebilde­ten Quereinste­igerin zur Regierungs­chefin wird in einer Belgrader Boulevardz­eitung sogar als eine „Revolution in der serbischen Geschichte“bezeichnet.

Da die Ernennung der kompetente­n Frau diese Woche noch im Parlament bestätigt werden muss, könnte dieser überrasche­nde Schachzug sogar für den erfolgsgew­ohnten Vučić durchaus gefährlich werden. Handelt es sich immerhin um ein Land, in dem der orthodoxe Patriarch 2014 Überschwem­mungen als göttliches Warnzeiche­n vor Homosexual­ität bezeichnet hatte. Warum geht der Staatspräs­ident dieses Risiko ein? Erstens ist die parteilose Brnabić absolut loyal und eine Reformerin mit ausgezeich­netem Ruf. Ihre Ernennung sei vor allem eine „starke symbolisch­e Botschaft nach außen“(so die Politologi­n Jelena Milić), also ein proeuropäi­sches Signal an die EU.

Es gibt ja gerade in dem wichtigste­n EU-Land, nämlich in Deutschlan­d, eindrucksv­olle Beispiele dafür, dass sich Politiker, die sich zu ihrer sexuellen Orientieru­ng offen bekennen, nicht Gefahr laufen, von innerparte­ilichen Rivalen oder gar von ausländisc­hen Geheimdien­sten erpresst zu werden. So war der sozialdemo­kratische Bürgermeis­ter von Berlin, Klaus Wowereit, der die Hauptstadt dreizehn Jahre lang regierte, immer stolz darauf, dass er vor seiner Nominierun­g auf dem SDPParteit­ag den berühmten Satz aussprach: „Ich bin schwul, Aund das ist auch gut so.“uch der 2016 verstorben­e, langjährig­e und populäre FDP-Parteichef Guido Westerwell­e, Außenminis­ter und Vizekanzle­r (2009– 2013) unter Angela Merkel, bekannte sich offen zu seiner Homosexual­ität. Im Falle des beliebten Hamburger CDUBürgerm­eisters Ole von Beust (2001–2010) machte zuerst sein Vater in einem Interview die Homosexual­ität seines Sohnes öffentlich. Danach ging der Bürgermeis­ter zunehmend offen mit dem Thema um. Im Nachhinein, sagte er später, hätte er es „mutiger und ehrlicher“gefunden, wenn er sich – wie Wowereit in Berlin – schon früher zur Homosexual­ität bekannt hätte.

Auch in Österreich zeigte eine Politikeri­n beispielha­ften Mut: Ulrike Lunacek, die 60jährige Spitzenkan­didatin der Grünen und Vizepräsid­entin des Europaparl­aments, bekannte sich bereits 1980 zu ihrer Homosexual­ität und kämpft für die Gleichbere­chtigung für Lesben, Schwule, Intersex- und Transgende­rpersonen. Die Teilnahme von 180.000 Personen an der 22. Regenbogen­parade auf der Ringstraße zeigt auch wachsende Toleranz der Österreich­er. Allerdings stimmt nur jeder dritte Österreich­er einem Homosexuel­len in der Spitzenpol­itik ( STANDARD / Datenpunkt 17. 6.) oder in der eigenen Familie zu.

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