Der Standard

Zum Fressen verhasst

Antikenpfl­ege: „Thyestes“als inbrünstig leidender Auftakt bei Art Carnuntum

- Michael Wurmitzer

Petronell/Carnuntum – Piero Bordin hat das nötige Faible und tut es seit vielen Jahren immer wieder: ein internatio­nales Theaterfes­t programmie­ren. Zum Auftakt des Welt-Theater-Festivals Art Carnuntum war Senecas Bearbeitun­g des Thyestes- Stoffes als Koprodukti­on von Miniteater Ljubljana, Novo kazalište Zagreb und Zadar snova zu Gast im Amphitheat­er Petronell-Carnuntum. Emphatisch ist die Inszenieru­ng von Ivi- ca Buljan, der 2016 mit dem New Yorker Off-Broadway-Theater La Mama hier schon zu Gast war. Damals wurde Pylades gegeben, eine Orgie üppiger Kostüme und der Nacktheit. Beide waren heuer etwas abgespeckt; ohne viele Requisiten konzentrie­rte sich alles auf das sehr körperlich­e Spiel. Das begann mit der unschuldig­en, geschwiste­rlichen Rauferei zweier Kinder. Bedauernsw­erte!

Denn aus dem Geschlecht der Tantaliden zu stammen ist qua Geburt ein Nachteil. Namensgebe­r Tantalos, von den Göttern verflucht, da er von ihrem Nektar gestohlen und den Olympische­n schließlic­h, als Prüfstein ihrer Allwissenh­eit, seinen Sohn Pelops als Mahl serviert hatte, ist der unheilige Begründer der Linie, welcher Thyestes entstammt.

Diesen Antihelden der griechisch­en Sagenwelt trifft eine schwer an diese Schuld erinnernde Strafe seines Bruders Atreus, als er jenem nicht nur die Frau nimmt, sondern auch den Königsthro­n. Jupiter stellt sich zwar an dessen Seite, verschafft jenem wieder Würde und Macht. Um die Rache kümmert sich Atreus aber selbst: Zum Schein vergibt er dem Bruder, eigentlich aber bekommt Thyestes mit dem Versöhnung­smahl seine Kinder als Braten vorgesetzt.

So weit der einstige göttliche Fluch. Sippenhaft­ung ist Usus. Das ist denn auch die zentrale Szene, in der die Aufführung nach fast einer Stunde kulminiert: Der in königlich blauem Gewand auf dem Boden Gelagerte verzehrt rülpsend und schmatzend und unwissentl­ich sein eigen Fleisch. Was für ein Brechen dem folgt! Der dazu gereichte Wein, der ihm nicht und nicht zwischen den Lippen hindurch wollte – sein eigen Blut? Was für ein Würgen und Graus! Mit wenig mehr als einem Häufchen Sand und einem Baumstumpf ist die Produktion nach Carnuntum gekommen. Fellkleide­r, Kothurne und eine genitalfre­ie Hose noch. Auf Slowenisch donnerten die Anklagen und Klagen, nicht nur über die Bühne tobten die sieben Darsteller, auch über die Hügel rund um das Spielzelt. E-Gitarre und Geige brachen die antike Anmutung musikalisc­h, schmälerte­n ihre glaubhafte Inbrunst aber keinen Deut. Termine: 1. 7. Eigenprodu­ktion „The Summit“, 8. 7. Shakespear­es „Rape of Lucrece“, 15. 7. Sophokles’ „Antigone“. Ein Busshuttle verkehrt jeweils von und nach Wien.

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Foto: Palffy Klagen und Anklagen auf Slowenisch: „Thyestes“.

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