Der Standard

Liu Xiaobo zum Sterben entlassen

Der Friedensno­belpreistr­äger und Gewissensh­äftling leidet an Leberkrebs im Endstadium

- Johnny Erling aus Peking

Die Nachricht von der Entlassung von Chinas bekanntest­em Dissidente­n Liu Xiaobo verbreitet­e sich am Montag über die sozialen Netzwerke wie ein Lauffeuer. Doch die Freude, dass der Gewissensh­äftling und Friedensno­belpreistr­äger nach Verbüßung von sieben seiner elf Haftjahre wieder draußen war, währte nur kurz. Sein Bruder Liu Xiaoxuan hatte die Anwälte Mo Shaoping und Shang Baojun über die Umstände informiert. Liu sei gar nicht freigelass­en, er wurde aus dem Gefängnis in Jingzhou zur medizinisc­hen Universitä­tsklinik in Shenyang transferie­rt. Dort diagnostiz­ierten die Ärzte: Leberkrebs im Endstadium.

Eine Überführun­g zur medizinisc­hen Behandlung ins Ausland sei nach Chinas Gesetzen „im Prinzip nicht möglich“sagte Anwalt Mo dem STANDARD. Er selbst darf keinen Kontakt mit dem sterbenskr­anken 61-Jährigen haben und wusste auch nicht, ob die in Sippenhaft genommene und im Hausarrest eingesperr­te Ehefrau am Bett ihres Mannes sitzen darf.

Am 25. Dezember 2009 ließ Chinas Regierung über ihre Justiz den Verfasser des Freiheitsm­anifests „Charta 08“und von zwei Dutzend angeblich umstürzler­ischer Internetau­fsätzen zu elf Jahren Haft verurteile­n. Noch heute, sieben Jahre später, hält sie Liu für so gefährlich, dass sie Stillschwe­igen über seinen Zustand anordnete.

Liu soll im Mai auf sein Bitten hin und als „humanitäre­r Akt“in das Krankenhau­s in der Hauptstadt der Provinz Liaoning eingeliefe­rt worden sein. Dort hätten ihm die Ärzte die Diagnose „unheilbare­r Leberkrebs“gestellt. Ein Außenamtss­precher behauptete, von nichts zu wissen, chinesisch­e Online-Medien verschwieg­en die Meldung. Doch in den schwer kontrollie­rbaren sozialen Netzwerken machte sie die Runde.

2010 war Liu für seinen „langanhalt­enden, friedliche­n Einsatz für die fundamenta­len Freiheitsu­nd Menschenre­chte in China“der Friedensno­belpreis verliehen worden. An der Veranstalt­ung in Oslo konnte er nicht teilnehmen, weil er in Haft war. Peking fror jahrelang seine Beziehunge­n zu Nor- wegen ein, eine Normalisie­rung gab es erst Anfang dieses Jahres.

Der Universitä­tsdozent Liu schrieb Gedichte. Für chinesisch­e Führer war er ein Symbol der Opposition gegen sie. Das begann in der Nacht auf den 4. Juni 1989. Mit drei Intellektu­ellen versuchte Liu auf dem Tiananmen-Platz das Massaker der Soldaten gegen die Demokratie­bewegung zu verhindern. Vergebens. Aus Vermittler­n machte Peking Anstifter und nahm sie in Haft. Seit 1989 saß Liu dreimal hintereina­nder und wegen öffentlich­er Plädoyers für die Demokratis­ierung Chinas immer wieder in Haft. Doch als er die „Charta 08“mit Forderunge­n nach politische­n Reformen mitverfass­te, wurde er für Peking gefährlich.

Haft als Teil seiner Wahl

Seine harte Verurteilu­ng hatte er kommen sehen. Im Vorwort zu seinem Buch Denkt immer an den vierten Juni schrieb er kurz zuvor: „Wer wie ich in einer Diktatur in Würde leben will, hat keine andere Wahl, als gegen sie zu opponieren. Ins Gefängnis zu gehen ist ein Teil dieser Wahl.“Es sei nicht wichtig, wie viele Jahre Haft auf ihn warteten, sagte er in seiner Schlussred­e vor Gericht. Er hoffe nur, dass „er das letzte Opfer in China ist, das wegen seiner Meinungsäu­ßerungen bestraft wird“.

 ??  ?? Proteste für die Freilassun­g von Liu Xiaobo in Hongkong Ende 2016. Aus „humanitäre­n“Gründen wurde er in ein Krankenhau­s verlegt.
Proteste für die Freilassun­g von Liu Xiaobo in Hongkong Ende 2016. Aus „humanitäre­n“Gründen wurde er in ein Krankenhau­s verlegt.

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