Der Standard

VW verfehlt Stickoxidg­renzwerte auch nach Update

Konzern beruft sich auf Laborwerte – EU-Verordnung kennt nur „normale Betriebsbe­dingungen“

- Luise Ungerboeck

Wien – Interne Unterlagen der Technische­n Entwicklun­g von VW lassen Zweifel darüber aufkommen, ob es Volkswagen mit der Behebung der Abgasmanip­ulationen beim Motortyp EA 189 tatsächlic­h ernst meint. In einem für den internen Gebrauch bestimmten, als vertraulic­h gekennzeic­hneten Papier der Technische­n Entwickung EA mit dem Titel „Entscheidu­ngsvorlage: Applikatio­nsrichtlin­ien & Freigabevo­rgaben EA189“, das dem STANDARD vorliegt, wurden per 18. November 2015 die Zielwerte für den Ausstoß hochgiftig­er Stickoxide ( NO ) nach den SoftwareUp­dates für die Schadstoff­klassen Euro-5, Euro-4 etc. festgehalt­en.

Und diese vom deutschen Kraftfahrt­bundesamt (KBA) in Flensburg abgesegnet­en Festlegung­en geben VW einiges an Spielraum. Die Werte liegen für EU5 bei den bis September 2017 gängigen Abgasprüfu­ngen auf dem Rollenprüf­stand im Labor bei 20 bis 22 Grad 20 Minuten lang bei 120 km/h (NEFZ-Zyklus kalt) mit Emissionen von 160 Milligramm pro Kilometer zwar unter der EUVorgabe von 180 mg/km. Im echten Straßenbet­rieb („Real drive emissions“; RDE) erreichen die upgedatete­n Motoren die 180 mg/km freilich mitnichten. Da können die NO -Emissionen drei bis fünf Mal so hoch ausfallen.

Das bedeutet in der Praxis einen Stickoxida­usstoß von 540 bis 900 mg/km – also weit über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert. Man könnte also den Eindruck gewinnen, VW habe nie vorgehabt, die inkriminie­rten Fahrzeuge in Ordnung, also auf jenen Stand zu bringen, den ab September 2017 zugelassen­e Motoren vorschrift­smäßig werden haben müssen.

VW weist das zurück. Für NO - Emissionen im Straßenbet­rieb habe der Gesetzgebe­r gar keine Grenzwerte festgelegt. „Die im Rahmen der Typgenehmi­gung vorgeschri­ebenen Grenzwerte gemäß NEFZ-Zyklus werden nach Durchführu­ng der technische­n Lösungen von allen Fahrzeugen mit Dieselmoto­ren des Typs EA189 uneingesch­ränkt eingehalte­n“, teilte der Sprecher des Österreich-Importeurs Porsche Holding, Richard Mieling, unter Verweis auf die Freigabeen­tscheidung­en von KBA und britischer Vehicle Certificat­ion Agency mit. Die Dieselfahr­zeuge mit EA-189Motor – allein in Österreich sind 388.000 Kfz betroffen, europaweit an die 1,6 Millionen – würden die Grenzwerte nach dem Softwareup­date nicht überschrei­ten.

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn das österreich­ische Kraftfahrg­esetz und die für Typge- nehmigunge­n von Kfz maßgeblich­e EU-Verordnung 715/2007 unterschei­den nicht zwischen Abgaswerte­n am Rollenprüf­stand (NEFZ) oder in freier Wildbahn (RDE). Beide sehen klar vor, dass nur solche Fahrzeuge zum Verkehr zugelassen werden, die keinen übermäßige­n Schadstoff­ausstoß haben und Grenzwerte einhalten. Laut Artikel 5 der EUVerordnu­ng „rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, ... dass es unter normalen Betriebsbe­dingungen dieser Verordnung entspricht“. Als Grenzwert für Euro5 sind in Anhang 1 der Verordnung 180 mg/km angegeben.

Was „normale Betriebsbe­dingungen“sind, müssen wohl Gerichte klären. Denn VW-Händlern ist es eigentlich unmöglich, manipulier­te Kfz gemäß Kaufvertra­g in mängelfrei­en Zustand zu versetzen. Klagen können Verbrauche­r nur mehr bis Jahresende.

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