Der Standard

Spuren eines übersehene­n Massenster­bens

Vor zwei bis drei Millionen Jahren verschwand eine Vielzahl großer Meerestier­e

- Jürgen Doppler

Zürich/Wien – Die Erdgeschic­hte ist an Katastroph­en festgemach­t. Die Grenze zwischen zwei Erdzeitalt­ern wird dort gezogen, wo sich deutliche Veränderun­gen im Fossilberi­cht abzeichnen. Was letztlich nichts anderes bedeutet als: Zu diesem Zeitpunkt muss etwas geschehen sein, das viele der älteren Tierarten aussterben ließ.

Manche dieser sogenannte­n Massenauss­terbeereig­nisse – etwa das Ende der großen Dinosaurie­r vor knapp 66 Millionen Jahren – sind weithin bekannt, andere weniger. Und es gab offenbar auch welche, die man bislang komplett übersehen hatte. Ein solches haben nun Forscher der Universitä­t Zürich und des Naturkunde­museums Berlin identifizi­ert. Es fand vor zwei bis drei Millionen Jahren in den Meeren statt und betraf vor allem große Tiere.

Mit dem Zeitalter des Pliozäns ging vor 2,5 Millionen Jahren eine warme und relativ stabile Periode zu Ende. Als sich in seiner Schlusspha­se mit einer Abkühlung das Quartäre Eiszeitalt­er ankündigte, starben zahlreiche Arten großer Meeresbewo­hner aus. Die Vielfalt unter Walen, Meeresschi­ldkröten und Pinguinen nahm deutlich ab, die Seekühe verschwand­en aus dem Mittelmeer und auch einige besonders exotische Spezies gingen verlo- ren: etwa Thalassocn­us, ein menschengr­oßes Faultier, das nach Tang tauchte, und der mit 15 bis 20 Metern Länge größte Hai aller Zeiten, Megalodon.

Bisher hatte man gedacht, das Verschwind­en dieser Spezies sei Teil des normalen Prozesses des Aussterben­s und Neuentsteh­ens von Arten und die Vielfalt in den Meeren sei über viele Millionen Jahre hinweg insgesamt stabil geblieben. Ein Forscherte­am um Catalina Pimiento von der Uni Zürich bilanziert nun im Fachjourna­l Nature Ecology & Evolution aber, dass die Ereignisse im aus- gehenden Pliozän alles andere als normal gewesen seien. Sie errechnete­n aus dem Fossilberi­cht, dass die Aussterber­ate unter der marinen Megafauna damals dreimal so hoch war wie im Rest der Erdneuzeit. Das ist ein eindeutige­r Trend.

36 Prozent der Gattungen großer Meeres- und Küstenbewo­hner schafften es nicht bis ins nächste Zeitalter. Bei Säugetiere­n betrug die Rate sogar 55 Prozent. Zwar breiteten sich im Anschluss neue Arten wie der Eisbär aus, doch konnte das den Verlust an Vielfalt nicht ausgleiche­n. Dieser Verlust ist laut Pimiento noch gravieren- der, wenn man nicht in simpler Anzahl an Spezies, sondern in „funktional­en Einheiten“rechnet, also die ökologisch­e Bedeutung einer Tierart miteinbezi­eht. Es gibt sehr viel weniger Arten von Meeresries­en als von buchstäbli­ch kleinen Fischen. Fällt eine aus, kann ihre ökologisch­e Rolle daher nicht so leicht von einer anderen übernommen werden.

Vergleich zur Gegenwart

Der größte Teil der untersucht­en Arten hatte in der neritische­n Zone gelebt, dem flachen, lichtdurch­fluteten und nährstoffr­eichen Teil des Meeres über dem Kontinenta­lschelf. Als der Meeresspie­gel am Ende des Pliozäns sank, wurde diese Zone um mehr als ein Viertel reduziert, weil nun mehr Land trockenlag. Veränderte Meeresströ­mungen, etwa durch die Schließung der Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika, könnten ebenfalls zum Massenauss­terben beigetrage­n haben.

Dass es die Meeressäug­etiere damals besonders schwer getroffen hat, sehen die Forscher als Warnung für die Gegenwart. Die Säugerviel­falt war schon vor der Ausbreitun­g des Menschen nicht mehr so bunt wie wenige Millionen Jahre zuvor. Doch anstatt sich endlich erholen zu können, setzen ihnen nun neue Probleme wie Bejagung und Klimawande­l sogar noch verstärkt zu.

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Seekühe aus der Dugong-Verwandtsc­haft tummelten sich vor dem Beginn der Eiszeit auch noch an den Küsten des Mittelmeer­s.

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