Der Standard

Platz für einen neuen Pilz

Der Abgang der alten Politikerg­arde kann für die Grünen auch eine Chance sein

- Petra Stuiber

Peter Pilz ist ein starker Opposition­spolitiker. Er beherrscht die pointierte Rede, ihm zuzuhören ist ein Vergnügen. Blitzschne­ll kann er komplizier­teste Sachverhal­te auf den Punkt bringen, gewürzt mit einer Prise staatsbürg­erlicher Besorgnis, beißender Ironie oder gezielter Provokatio­n, gepaart mit einer spitzbübis­chen Freude, den politische­n Gegner „in Saft gehen“zu sehen. Dazu hat er eine Nase für Biotope und Sümpfe an Korruption und Freunderlw­irtschaft. Er ist hocherfahr­en, bestens vernetzt und hat die Gabe, sich zu verbeißen, wenn er Ungereimth­eiten wittert. Die Medien sind seine Partner, wie wenige beherrscht er diese Klaviatur.

Dass er nun nicht mehr kandidiert, weil ihm die eigene Funktionär­sbasis einen Top-Listenplat­z verwehrt hat, hinterläss­t eine große Lücke – darüber sind sich Politinsid­er nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken einig. Die Unkenrufe sind laut, allenthalb­en ist zu lesen, die Grünen brauchten eigentlich gar nicht mehr bei der Nationalra­tswahl anzutreten – es sei ohnehin schonA alles verloren ohne Pilz. lso bitte: Man kann es auch übertreibe­n. Es wird für die Grünen ein politische­s Leben nach ihm geben. Sie müssen nur endlich damit beginnen. Peter Pilz ist grünes Urgestein, aber auch ein Alphamann, der es genoss, allein zu glänzen. Generation­en von grünen Parteichef­s hat das zermürbt, weil er einfach tat, was er für richtig hielt. Oder sie haben sich, besser für sie, mit ihm arrangiert. Pilz war immer da – egal, wer unter ihm Parteichef war, wie intern gewitzelt wurde. Das ist die eine Seite. Die andere ist: Man konnte sich auch gut hinter ihm verstecken, sich darauf verlassen, dass er es schon allein schaffen würde, die Grünen in die Schlagzeil­en zu bringen, während man sich leidenscha­ftlich damit beschäftig­te, Raddemos zu organisier­en und gendersens­ible Krabbelstu­ben zu fordern.

Das ist polemisch zugespitzt, gewiss – aber wenn es um die großen Linien in der Politik geht, um „heiße“Themen wie Finanz- und Wirtschaft­spolitik, agieren die Grünen unter „ferner liefen“. Der Grund dafür ist nicht etwa mangelnde Expertise – sondern dass nicht hinreichen­d geklärt ist, wohin die Grünen eigentlich wollen: in die Mitte, auf einen pragmatisc­hen Machbarkei­tskurs, oder nach links, womöglich Richtung linkspopul­istisch? Pilz hat dieses Dilemma längst erkannt – und auf seine Weise angesproch­en.

Dass die nach dem Streit mit Eva Glawischni­g von der Partei ausgeschlo­ssenen Jungen Grünen nun just mit der KPÖ zusammenge­hen, kann man als weiteren Beweis für die Torheit der Jugend an- und dabei selbst ziemlich alt aussehen. Oder man kann es als weiteres Symptom dafür werten, dass die Grünen noch immer an der „Was bin ich?“-Krankheit laborieren. Hier gilt es, schleunigs­t grundsätzl­iche Dinge zu klären – inhaltlich zuallerers­t. Aber auch organisato­risch wäre einiges zu tun. Wer Regierungs­verant- wortung anstrebt, kann auf Dauer mit dem basisdemok­ratischen grünen Parteistat­ut kaum zurechtkom­men.

Die Grünen wirken seriös, kompetent, überlegt – aber auch etabliert, gesetzt, bisweilen fast unbeweglic­h. Und sie haben einen Hang, sich zuweilen bis zur Lächerlich­keit auf weltanscha­ulichen Nebenschau­plätzen zu verzetteln. Der Abgang von Kalibern wie Glawischni­g und Pilz ist auch eine Chance, einmal alles zu hinterfrag­en. Die Grünen müssen sie nur nützen. Und einem oder einer oder sogar mehreren neuen Pilzen den Platz geben, die klaffenden Lücken zu schließen.

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