Der Standard

Pflege: Wie sich die Länder Vermögen greifen

Sämtliche Bundesländ­er greifen gründlich auf das Vermögen von Pflegeheim­bewohnern zu, auch Erben werden zur Kasse gebeten. Die SPÖ will das Aus für den Pflegeregr­ess noch diese Woche durchsetze­n, die ÖVP winkt ab. Knackpunkt: die Finanzieru­ngsfrage.

- Gerald John

Die rivalisier­enden Regierungs­partner treiben sich gegenseiti­g an: Kaum hat sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz für die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses ausgesproc­hen, prescht die SPÖ, die den Plan schon länger auf der Agenda hat, einen weiteren Schritt vor. Bereits am Donnerstag wollen die Sozialdemo­kraten einen entspreche­nden Antrag im Parlament einbringen.

Auslaufen soll eine Praxis, die soziale Hilfsorgan­isationen seit vielen Jahren kritisiere­n: Sämtliche Bundesländ­er bitten Pflegepati­enten gründlich zur Kasse.

Wer in einem Heim landet, muss zur Bezahlung erst einmal den Großteil seines Einkommens – in der Regel die Pension – und das Pflegegeld aufwenden. Von Ersterem bleibt dem Betroffene­n ein Fünftel zur freien Verfügung, von Letzterem ein Taschengel­d von 45,20 Euro im Monat.

Weil die monatliche­n Kosten eines Pflegeheim­platzes aber in die tausende Euro gehen können, reicht das oft nicht aus. Die öffentlich­e Hand greift deshalb auch auf das Vermögen der Betroffene­n zu – in unterschie­dlichem Ausmaß. Von 4000 Euro (Wien) bis 12.666,90 Euro (Niederöste­rreich) reicht laut einer Aufstellun­g des Sozialmini­steriums die Grenze, bis zu der persönlich­es Hab und Gut verschont wird (siehe Grafik).

Wer einen Partner in einem Heim hat, fliegt deshalb zwar nicht aus der gemeinsame­n Wohnung. Doch die jeweilige Behörde kann sich ins Grundbuch eintragen lassen, um die Besitzansp­rüche später geltend zu machen.

Die Länder sind diesbezügl­ich einigermaß­en nachtragen­d. Für den Fall, dass Vermögen auftaucht oder angehäuft wird, wenn jemand das Heim wieder verlassen hat, kann noch zwischen drei und zehn Jahren (Vorarlberg) nach der Pflegeleis­tung zugegriffe­n werden. Das Gleiche gilt mit wieder anderen Fristen für vererbtes Eigentum: Dann begleichen eben die Nachkommen die Rechnung.

Mancherort­s zahlen Ehegatten und eingetrage­ne Partner bereits zu Lebzeiten des Heimbewohn­ers mit. Früher galt dies auch für Kinder der Betroffene­n, doch diese Form des Regresses wurde flächendec­kend abgeschaff­t.

Natürlich kommen da Menschen auf die Idee, Geld und Immobilien rechtzeiti­g (pro forma) an Kinder oder andere nahestehen­de Personen zu verschenke­n. Doch die Behörden bauen vor: Sie dürfen auch dann zugreifen, wenn die Schenkung Jahre vor dem Heimbesuch stattgefun­den hat. Wieder gelten unterschie­dliche Fristen und Freibeträg­e.

SP-Antrag unterdotie­rt

Das Sozialmini­sterium rechnet mit 40.000 betroffene­n Familien, den Ländern bringe der Zugriff 100 Millionen im Jahr. Fällt der Regress, würden die Kosten in den Folgejahre­n aber doppelt so hoch liegen: Das Ministeriu­m geht davon aus, dass sich dann mehr Leute für ein Heim entscheide­n.

Im Antrag der SPÖ auf Abschaffun­g ist jedoch nur von 100 Millionen Euro jährlich die Rede, die der Bund den Ländern von 2018 bis 2021 ersetzen soll. Zu wenig, sagt Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wallner (ÖVP) und geht österreich­weit von Kosten von bis zu 250 Millionen aus. Prinzipiel­ler Einspruch kommt aus den Ländern aber nicht.

Offen ist die Frage, wie eine künftige Bundesregi­erung das bezahlen soll. Die SPÖ will im Gegenzug eine allgemeine Erbschafts­und Schenkungs­steuer einheben, ab einem Freibetrag von einer Million. Die Logik dahinter aus Sicht von Kanzler Christian Kern: Wer das Pech habe, dass ein Elternteil im Heim lande, zahle derzeit mitunter de facto eine Erbschafts­steuer von 100 Prozent. Eine solidarisc­he Verteilung der Kosten sei da allemal gerechter.

Auf Solidaritä­t verweist auch Sebastian Kurz. „Jemand, der ein Pflegefall wird, soll nicht anders behandelt werden als jemand, der an Krebs erkrankt“, sagt er. Neue Steuern will der VP-Chef aber nicht, sondern durch Bürokratie­abbau Mittel im Budget freischauf­eln. Die Bekämpfung von Sozialmiss­brauch soll ebenfalls Einsparung­en bringen.

Für Dienstagab­end hatten SPÖ und ÖVP Verhandlun­gen angesetzt. Doch Kurz kündigte bereits an: Ehe das Finanzieru­ngsproblem geklärt sei, stimme er nicht zu. Der SP-Antrag klammert diese Frage erst einmal aus.

Alternativ­e Mehrheitsb­eschaffer könnten sich in der Opposition anbieten. „Ja eh, dann bitte her damit!“, zeigt sich der Grüne Werner Kogler aufgeschlo­ssen, die FPÖ will am Mittwoch einen eigenen Abschaffun­gsantrag einbringen. Zum SP-Antrag heißt es: „Schauen wir mal!“

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Quelle: Sozialmini­sterium; Foto: Christian Fischer

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