Der Standard

Empörung über Netanjahu bei US-Juden

Israels Premier gab Druck der Orthodoxen im Streit um Jerusaleme­r Klagemauer nach

- Ben Segenreich aus Tel Aviv

Beißende Kritik von der Opposition, israelisch­en Medien und Vertretern des Diaspora-Judentums, aber auch des eigenen Kabinetts hat Israels Premier Benjamin Netanjahu sich mit zwei Entscheidu­ngen eingehande­lt, die unter dem Druck der zwei strengreli­giösen Regierungs­parteien gefallen sind.

„Es handelt sich um ein religiöses Diktat“, sagte etwa der rechtsgeri­chtete Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman, „und um einen Versuch, Israel von einem zionistisc­hen Staat in einen Gottesstaa­t umzuwandel­n.“Für den Zentrumspo­litiker Yair Lapid ist Netanjahu jetzt „nicht mehr der Regierungs­chef des ganzen jüdischen Volkes, er ist der Chef der Marionette­nregierung der strengreli­giösen Macher“.

Ausgetrage­n wird dabei eine neue Runde im Kampf der beiden liberalen Strömungen im Judentum – Reform und Konservati­ve – gegen die Orthodoxie. Während unter den US-Juden die Liberalen bei weitem in der Überzahl sind, sind die Orthodoxen in Europa dominant. In Israel haben die Ortho- doxen praktisch ein Monopol, gegen das die Liberalen seit Jahrzehnte­n anrennen.

Am Sonntag hat Israels Kabinett einen Gesetzesen­twurf durchgewin­kt, wonach in Israel durchgefüh­rte Konversion­en zum Judentum nur anerkannt werden sollen, wenn sie durch orthodoxe Rabbiner vorgenomme­n werden. Das war zwar schon immer die Praxis gewesen, hatte aber zuletzt Lücken bekommen.

Für größere Aufregung sorgte der Beschluss, eine im Jänner 2016 getroffene Vereinbaru­ng, die den liberalen Juden erstmals einen offizielle­n Status an der Klagemauer in Jerusalem gegeben hätte, wieder „einzufrier­en“. Der Platz vor dem höchsten jüdischen Heiligtum ist in zwei Bereiche geteilt, in denen Frauen und Männer nach orthodoxer Tradition jeweils getrennt beten. Etwas abseits mit eigenem Zugang wurde vor einiger Zeit ein dritter Bereich geschaffen, in dem Frauen und Männer „gemischt“beten können.

Netanjahu hatte zugesagt, diesen „egalitären“Bereich ähnlich wie die orthodoxen Bereiche angemessen herzuricht­en und libe- rale Gruppen an der Verwaltung zu beteiligen. Doch nun nahm er die Zusage wieder zurück.

Insbesonde­re Vertreter des USamerikan­ischen Judentums sehen darin einen Rückschlag und Affront, weil ihre Form der Religionsa­usübung damit als zweitklass­ig eingestuft werde. Die Entscheidu­ngen „haben die DiasporaJu­den weggestoße­n“, sagte Rabbiner Rick Jacobs, Präsident der „Union für Reform-Judentum“, das sei „ein sehr schwarzer Tag für alle, denen die Einheit des jüdischen Volkes wichtig ist“.

Knappe Parlaments­mehrheit

Langfristi­g gesehen waren es aber die Orthodoxen, die in den vergangene­n Jahren Niederlage­n einstecken mussten. So wurde etwa gerichtlic­h durchgeset­zt, dass Frauen an der Klagemauer mit Käppchen und Gebetsscha­l beten dürfen, was nach orthodoxer Auffassung Männern vorbehalte­n ist. Bei den Wahlen 1999 erreichten die strengreli­giösen Parteien zusammen noch 16,7 Prozent, 2015 waren es 10,8 Prozent. Die beiden umstritten­en Entscheidu­ngen konnten sie jetzt deswegen erzwingen, weil Netanjahu eine sehr schmale Parlaments­mehrheit hat und von den Strengreli­giösen abhängig ist.

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Foto: Reuters Benjamin Netanjahu ist nun gegen die „gemischte“Zone.

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