Der Standard

Der Kampf um Kohls Nachlass hat begonnen

Bundesarch­iv fordert von Witwe Akten – auch russischer Premier bei Trauerakt

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Berlin – Man kennt das aus ganz normalen Familien. Noch ist der Verstorben­e gar nicht beigesetzt, da tobt schon der Kampf um sein Erbe. Beim deutschen Altkanzler Helmut Kohl, der am 16. Juni im Alter von 87 Jahren starb, ist es nicht anders. Es geht dabei aber nicht um seine materielle­n, sondern um immateriel­le Werte: Akten, Aufzeichnu­ngen und Papiere aus seiner Amtszeit als Bundeskanz­ler (1982 bis 1998).

So hat sich Michael Hollmann, Präsident des deutschen Bundesarch­ivs, schon mal an Kohls Witwe Maike Richter-Kohl gewandt und um Herausgabe des „staatliche­n Schriftgut­es“gebeten. Er ist nicht der Einzige, der Interesse hat, auch die CDU-nahe KonradAden­auer-Stiftung (KAS) hätte die Unterlagen gerne – wieder.

Kohl hatte nach Ende seiner Kanzlersch­aft rund 400 Akten aus dem Bonner Kanzleramt ins Archiv der KAS schaffen lassen. 2010 ließ er sie in seinen Bungalow in Ludwigshaf­en-Oggersheim transporti­eren. Begründung: Er brauche die Bände für einen weiteren Band seiner Memoiren. Bis jetzt liegen die Ordner in seinem Privathaus, die KAS hat nichts zurückbeko­mmen. Es ist allerdings nicht klar, in welchem Umfang sich darin Unterlagen aus der Kanzlerzei­t befinden. Es gebe gar keine, sagt Kohls Witwe.

Erinnerung an Willy Brandt

Das mag man in Historiker­kreisen aber nicht so recht glauben. Vielmehr besteht die Sorge, dass Richter-Kohl nur an einer positiven Darstellun­g Kohls interessie­rt sei. Sie wurde von Kohl zur alleinigen Erbin und Nachlassve­rwalterin eingesetzt.

In Berlin fürchtet man nun eine Auseinande­rsetzung wie nach dem Tod von SPD-Kanzler Willy Brandt im Jahr 1992. Auch dieser hatte seine zweite Ehefrau, Brigit- te Seebacher-Brandt, als Universale­rbin eingesetzt. Es gab lange, mühevolle Verhandlun­gen, bis der Nachlass seinen Weg in eine Stiftung fand.

Beerdigt wird Kohl am Samstagabe­nd in Speyer. Zuvor findet ein europäisch­er Trauerakt in Straßburg statt. Reden werden unter anderem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der französisc­he Präsident Emmanuel Macron und Ex-US-Präsident Bill Clinton. Laut der Süddeutsch­en Zeitung ist auch eine Rede des russischen Premiermin­isters Dmitri Medwedew vorgesehen, um an die Rolle der Sowjetunio­n bei der deutschen Wiedervere­inigung zu erinnern.

Nach dem Trauerakt fliegt ein Bundeswehr-Hubschraub­er den Sarg in Kohls Geburtssta­dt Ludwigshaf­en, wo es einen Konvoi geben soll. Mit einem Schiff wird dann der Leichnam über den Rhein ins rund 20 Kilometer entfernte Speyer gebracht. (bau)

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