Der Standard

Transporte­r an der Schranke austrickse­n

Pharmazeut­en suchen nach Möglichkei­ten, Medikament­e im Gehirn gut zu verteilen – um so Tumoren besser behandeln zu können. Dabei ist eine Barriere im Weg, die eigentlich für die Gesundheit wichtig ist: die Blut-Hirn-Schranke.

- Peter Illetschko

Wien – Die Blut-Hirn-Schranke gilt als eine der großen Erfindunge­n der Natur, die allerlei nützliche Aufgaben erfüllt. Sie besteht hauptsächl­ich aus kleinen Blutkapill­aren, die von Endothelze­llen ausgekleid­et sind, in deren Membranen sich zweierlei Transporte­r befinden. Was gar nicht so komplizier­t ist, wie es klingen mag: Die einen Transporte­r, EffluxTran­sporter heißen sie, befinden sich auf der dem Blut zugewandte­n Seite und sorgen dafür, dass Substanzen, die nicht ins Gehirn gehören, in der Blutbahn bleiben. Zwei von ihnen sind hier besonders wichtig. Die anderen, man nennt sie Uptake-Transporte­r sorgen für die Aufnahme von Nährstoffe­n aus dem Blut.

Stabile Barriere

Die Blut-Hirn-Schranke stellt also ein chemisches Gleichgewi­cht im Gehirn her. Bei der Behandlung von Hirntumore­n etwa ist das aber recht hinderlich – sowohl primäre, die im Organ selbst entstehen (Glioblasto­m), als auch sekundäre, die aufgrund von Metastasen eines anderes Geschwürs auftreten, könnte man besser und gezielter mit Krebsmedik­amenten zum Beispiel aus der Klasse der Tyrosinkin­ase-Inhibitore­n behandeln, wenn man diese Schranke überwindet. Es heißt zwar, dass sie bei Hirntumore­n nicht hundertpro­zentig funktionie­rt, um aber Krebsmedik­amenten einen Zugang zu ermögliche­n, ist sie zynischerw­eise noch zu stabil.

Der Pharmazeut Oliver Langer, der an der Med-Uni Wien und am Austrian Institute of Technology (AIT) forscht, erzählt, dass das Problem bei der Überwindun­g eine Art Kooperatio­n der EffluxTran­sporter ist. Wenn einer der beiden Transporte­r nicht mehr funktionie­rt, übernimmt der zweite diese Aufgabe. Ein scheinbar unüberwind­bares Duo. Um trotz- dem zum Ziel zu gelangen, greift Langer auf die Geschichte der Medikament­enentwickl­ung zurück: Die Pharmabran­che hat vor etwa 15 bis 20 Jahren Stoffe entwickelt, die ähnliche Barrieren in Tumorzelle­n überwinden können, damit die Chemothera­pie zerstören kann, was zerstört werden muss.

Da sich aber herausstel­lte, dass diese Arzneistof­fe auch Transporte­r in anderen Organen beeinfluss­en können, wie in der Leber, in der Niere und im Knochenmar­k, und in Kombinatio­n mit Chemothera­peutika zu starken Nebenwirku­ngen führen können, sind sie bis heute nicht zugelassen.

Die Pharmabran­che musste sich mit hohen Verlusten abfinden. Die Arzneistof­fe gibt es aber trotzdem, sie werden in der Forschung angewandt – unter anderem vom Pharmazeut­en Langer, um die Gehirnvert­eilung von Krebsmedik­amenten zu verbessern. Er schaut sich im Mausmodell und in gesunden Probanden an, wie diese Substanzen dosiert werden müssen, um Efflux-Transporte­r an der Blut-Hirn-Schranke zu hemmen.

Dabei verwendet er die Positronen-Emissions-Tomografie (PET), mit der man die Verteilung von Medikament­en im Gewebe sehen kann. Allerdings nur nach einem Austausch von Atomen: Die in jedem Medikament enthaltene­n Kohlenstof­fatome werden durch ein Radionukli­d mit kurzer Halbwertsz­eit von 20 Minuten ersetzt. Diese leuchten dann in den PETAufnahm­en. Langer betont: „Die Strahlenbe­lastung ist gering.“

Keine Anwendung in Sicht

Ziel des drei Jahre laufenden Projekts, das aktuell von der Niederöste­rreichisch­en Forschungs­und Bildungsge­sellschaft (NFB) im Life Science Call 2015 gefördert wurde: Man will mit der PETMethode erkennen, inwiefern das Ausschalte­n von Transporte­rpro- teinen die Verteilung von Krebsmedik­amenten im Körper verändert. Von einer möglichen klinischen Anwendung bei Gehirntumo­rpatienten ist man aufgrund möglicher Nebenwirku­ngen, die das Ausschalte­n von Transporte­rproteinen verursache­n könnte, noch weit entfernt. Wenngleich man eines schon sicher sagen kann: Die Transporte­rhemmung besteht nur, solange die Infusion des Hemmstoffe­s läuft. Langer: „Man müsste sich nun anschauen, wie das bei Krebspatie­nten wirkt.“Der Life Science Call der NFB wird seit 2009 ausgeschri­eben. Die aktuelle Ausschreib­ung startet am 1. Juli und läuft bis 2. Oktober 2017. Richtlinie­n sind abrufbar unter: pwww. nfb.at

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Die Blut-Hirn-Schranke: Blutkapill­aren, die von Zellen ausgekleid­et sind, die mittels mehrerer Transporte­r Substanzen hineinlass­en – oder auch nicht.

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