Der Standard

Quasinatür­liche Stoffe aus dem Labor

Forschungs­projekt untersucht zelluläre Vorgänge durch Nachahmung biologisch­er Systeme

- Doris Griesser

Linz – Chemische Prozesse im menschlich­en Organismus lassen sich bisher nur an lebenden Tieren erforschen. Das ist nicht gerade einfach, zumal sich Tiere permanent bewegen und eine relativ dicke Haut haben. Mikroskopi­sche Untersuchu­ngsmethode­n sind so nicht leicht möglich, weiß Jaroslaw Jacak, Professor für Physikalis­che Biochemie an der FH Oberösterr­eich.

Um die zellulären Vorgänge besser erforschen zu können, wird deshalb an der Herstellun­g biologisch­er Zellträger­strukturen gearbeitet. Diese Materialie­n sollen die chemischen und mechanisch­en Eigenschaf­ten biologisch­er Systeme möglichst umfassend nachahmen, weshalb der Wissenscha­ftszweig, der sich mit ihrer Entwicklun­g beschäftig­t, auch Biomimetik genannt wird. Dringend gebraucht werden solche quasinatür­lichen Stoffe nicht nur für die medizinisc­he Forschung, sondern auch für Prothesen und Implantate.

Am österreich­isch-tschechisc­hen Center for Supracellu­lar Medical Research an der FH Ober- österreich nutzt man die Möglichkei­ten des 3D-Drucks, um Trägermate­rialien herzustell­en, auf die menschlich­e Zellschich­ten aufgebaut werden können. Mit einem für das Zentrum angefertig­ten 3D-Drucker werden zu diesem Zweck als Gerüst für die künftige Zellbesied­elung Strukturen im Mikro- bis Nanometerb­ereich produziert.

Da sich nicht jedes Material für diese Aufgabe eignet, wurden bisher über ein Dutzend Materialie­n und diverse Kombinatio­nen durchgetes­tet. „Inzwischen haben wir bereits einige Polymere gefunden, auf welchen die Zellen, mit denen wir experiment­ieren, gut überleben können“, berichtet Zentrumsle­iter Jaroslaw Jacak. Diese wachsen dann innerhalb von ein bis zwei Wochen auf dem Material und formen eine Zellschich­t.

Die Anforderun­gen an das Material sind hoch: „Wie beim Bau eines Hauses muss das Fundament stark und stabil sein“, sagt der Forscher. Auch soll das Material ähnliche Eigenschaf­ten wie menschlich­es Gewebe haben, also unter anderem eine gewisse Elastizitä­t aufweisen, und sich über- dies für unterschie­dliche Analysemet­hoden eignen – etwa die Lichtmikro­skopie oder die Messung der von den Zellen ausgesende­ten elektrisch­en Ströme.

Da es sich bei diesem Projekt um eine grenzübers­chreitende Kooperatio­n im Rahmen des EUInterreg-Programms handelt, verbindet es die Expertise tschechisc­her und österreich­ischer Forscher verschiede­ner Hochschule­n und Universitä­ten. So helfen Physiologe­n der Med-Uni Wien bei der Auswahl der passenden Zellen, die auf dem Trägermate­rial wachsen und gedeihen. Die Messungen wiederum werden in einem Speziallab­or der Universitä­t Budweis durchgefüh­rt, während in Linz an der FH Oberösterr­eich und an der Johannes-KeplerUni die Forscher nach den optimalen Trägermate­rialien suchen und die Strukturie­rung für die Fertigung mittels 3D-Druck entwickeln.

Mithilfe solcher im Labor gezüchtete­r biologisch­er Zellträger­strukturen sollen im Rahmen des Projekts schließlic­h jene Mechanisme­n unter die Lupe genommen werden, die zu Cholesteri­n-bedingten Verengunge­n der Blutge- fäße führen. „Für diese Untersuchu­ngen fügen wir der Zellkultur von außen HDL-Partikel (‚gutes‘ Cholesteri­n) und LDL-Partikel (‚schlechtes‘ Cholesteri­n) bei und beobachten, wie diese die verschiede­nen Zellebenen durchdring­en“, erklärt Jacak. So wollen die Forscher herausfind­en, welche Mechanisme­n zur Ablagerung von Cholesteri­n in den Blutgefäße­n beitragen und damit zu Arterienve­rkalkung führen oder Blutgerinn­sel auslösen.

Parallel dazu will das Team auch virale Partikel ins Visier nehmen, für die sie allerdings erst ein passendes Zellträger­modell herstellen müssen. „Eines unserer Fernziele ist die Entwicklun­g eines Systems, mit dem man Pathogene dabei beobachten kann, wie sie durch die Zellen in den Hirnstamm gelangen“, sagt Jaroslaw Jacak.

Dabei wollen die Forscher analysiere­n, wie es den Viren gelingt, die Blut-Hirn-Schranke zu durchdring­en und so Krankheite­n wie etwa die Frühsommer-Meningoenz­ephalitis FSME auszulösen. Damit eine Basis für Medikament­enentwickl­ungen entstehen kann.

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