Der Standard

Von der Alltäglich­keit des Grauens

Die Philosophi­n Hannah Arendt bestimmte mit ihrem Prozessber­icht „Eichmann in Jerusalem“jahrzehnte­lang die Holocaust-Studien. Die Aktualität ihres Werkes wurde bei einer Tagung in Wien diskutiert.

- Tanja Traxler

Wien – Als der ehemalige SS-Obersturmb­annführer Adolf Eichmann im April 1961 vor dem Bezirksger­icht Jerusalem vorgeführt wurde, hatten sich nicht nur die am Prozess Beteiligte­n, sondern auch die zahlreich angereiste­n Journalist­en eine monströse Erscheinun­g erwartet. Eichmann wurde schließlic­h eine zentrale Rolle bei der Ermordung von Millionen Juden durch das NS-Regime angelastet. Doch der Mann, der im Glaskasten stand, der zu seinem Schutz geschaffen worden war, überrascht­e weniger durch eine bestialisc­he Ausstrahlu­ng als vielmehr durch eine erschrecke­nde Mittelmäßi­gkeit.

Erschrecke­nde Normalität

Die deutsch-amerikanis­che Philosophi­n und Publizisti­n Hannah Arendt, die den Prozess für die US-Zeitschrif­t New Yorker beobachtet­e, regte die Person Eichmann zur berühmt gewordenen Beschreibu­ng der „Banalität des Bösen“an: „Das Beunruhige­nde an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklic­h und erschrecke­nd normal waren und sind“, schrieb sie im Buch Eichmann in Jerusalem, einer editierten Fassung der Prozessber­ichte, die sie für den New Yorker verfasst hatte.

Das Böse sei demnach etwas, das täglich passiert, und insofern sei es banal, sagte Natan Sznaider vom Academic College Tel AvivYaffo bei einer Tagung über Hannah Arendt, die vergangene Woche in Wien stattfand. Sie wurde vom Wiener Wiesenthal­Institut für Holocaust-Studien, dem Internatio­nalen Forschungs­zentrum für Kulturwiss­enschaf- ten der Kunstunive­rsität Linz und dem Wien-Museum veranstalt­et und unter anderem vom Wissenscha­ftsministe­rium unterstütz­t.

Eichmann gab sich vor Gericht wie ein durchschni­ttlicher Kleinbürge­r. Auf Fragen nach seiner Tätigkeit antwortete er mit Klischees und Worthülsen, als ob es sich um völlig alltäglich­e Vorgänge gehandelt habe. Eichmanns Kampf mit der deutschen Sprache hinterließ einen deutlichen Eindruck

 ??  ?? Hannah Arendt wurde 1906 in Hannover geboren. 1933 emigrierte sie aus Deutschlan­d – zunächst nach Frankreich, später in die USA. Bis zu ihrem Tod 1975 lebte sie mehrere Jahrzehnte in New York. Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 1944.
Hannah Arendt wurde 1906 in Hannover geboren. 1933 emigrierte sie aus Deutschlan­d – zunächst nach Frankreich, später in die USA. Bis zu ihrem Tod 1975 lebte sie mehrere Jahrzehnte in New York. Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 1944.

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