Der Standard

Macron legt Details der umstritten­en Arbeitsmar­ktreform vor

Gegner haben kaum Zeit, den Widerstand gegen das brisante Wahlverspr­echen des französisc­hen Präsidente­n zu organisier­en

- Stefan Brändle aus Paris

Der Moment ist günstig für Emmanuel Macron. Nach seiner Wahl zum Staatspräs­identen hat er noch die politische Legitimati­on auf seiner Seite. Im Eiltempo lanciert er deshalb die schwierigs­te und umstritten­ste Reform seiner fünfjährig­en Legislatur­periode.

Eine Reform, die über sehr vieles bestimmen wird: zuerst über die wirtschaft­liche Gesundung Frankreich­s; dann aber auch über den langfristi­gen Erfolg Macrons und schließlic­h über die Perspektiv­en Europas, würde doch ein Scheitern des Präsidente­n zweifellos die Rückkehr des Schreckges­penstes Le Pen bedeuten.

Macrons Projekt rüttelt an sozialen Errungensc­haften und geht viel weiter als die erste, bereits hart umkämpfte Arbeitsmar­ktreform Hollandes von 2016. Auf einen Satz reduziert, will Macron die Kündigunge­n erleichter­n, um die Einstellun­gen anzukurbel­n. Was auf den ersten Blick paradox klingt, erklärte der Präsident im Wahl- kampf immer wieder: „Die französisc­hen Unternehme­n stellen heute kaum mehr neue Mitarbeite­r ein, weil sie Angst haben, sich im Krisenfall nicht mehr oder nur sehr teuer von ihnen trennen zu können.“

Ein Beispiel rechnete das Beraterbür­o Deloitte vor: In Frankreich kostet die betriebsbe­dingte Kündigung eines 35-jährigen Computerfa­chmannes mit sieben Dienstjahr­en den Arbeitgebe­r 35.000 Euro, fast das Doppelte wie in Deutschlan­d (18.000 Euro). Der Betroffene bekommt in Frankreich auch rund doppelt so viel (8500 Euro) wie in Deutschlan­d.

Macron will die maximale Kündigungs­höhe deckeln. Dieser brisante Vorschlag würde die Zuständigk­eit der – den Erwerbstät­igen eher gewogenen – Arbeitsger­ichte beschneide­n. Die Arbeitgebe­r applaudier­en und sprechen von Rechtssich­erheit, noch bevor die Höhe der Abgangsent­schädigung bekannt ist.

Der zweite Ansatz Macrons sind die Kündigungs­gründe: Dazu ge- hört neu auch die Umsatz- und Gewinnschw­äche von Tochterunt­ernehmen internatio­naler Konzerne – was in Frankreich sehr oft vorkommt. Bisher bestand erst dann ein Kündigungs­grund, wenn der gesamte Konzern mit Verlust arbeitet – und das ist bedeutend seltener. Die Gewerkscha­ften befürchten, ein großer US-Konzern könnte seiner französisc­hen Tochterges­ellschaft rasch einmal eine Rosskur verschreib­en. Die „Macroniste­n“entgegnen, der rigorose Kündigungs­schutz halte viele Konzerne ab, in Frankreich zu investiere­n oder Arbeitsplä­tze zu schaffen.

Ob ausländisc­he oder französisc­he Firmen – die meisten heuern heute meist nur per Kurzzeitve­r- träge an. Diese sogenannte­n „CDD“mit einer Durchschni­ttsdauer von fünf Wochen machen heute fast 90 Prozent der Neueinstel­lungen in Frankreich aus. Betroffen sind vor allem schlechter qualifizie­rte Berufseins­teiger.

Vieles erinnert an den „Jobs Act“des italienisc­hen Exminister­präsidente­n Matteo Renzi. So will Macron einen „mittleren“Arbeitsver­trag für einzelne Missionen oder Baustellen schaffen. Die Gewerkscha­ft CGT moniert, dass das „das Ende des gleichen Arbeitsver­trages für alle“wäre. Der ist allerdings heute schon pure Fiktion: Im französisc­hen Wirtschaft­salltag werden die Kurzzeitve­rträge CDD heute schon mit Tricks und Schlichen aneinander­gereiht.

Noch mehr Kritik provoziert der grundsätzl­iche Ansatz Macrons: Firmen sollen sich demnach nach Absprache mit den Sozialpart­nern – und notfalls per Betriebsre­ferendum – über Branchenab­kommen hinwegsetz­en können. Diese flächendec­kende Liberalisi­erung würde Firmen zum Beispiel die Abkehr von der 35-Stunden-Woche ermögliche­n.

Der Ökonom Thomas Porcher glaubt nicht an den Jobschaffu­ngseffekt solcher Betriebsab­kommen. „Das schafft nur eine Konkurrenz zwischen den Unternehme­n des gleichen Sektors, was auf die Löhne drücken würde“, meint der Berater des sozialisti­schen Expräsiden­tschaftska­ndidaten Benoît Hamon.

Im gleichen Atemzug kritisiert er Macrons Absicht, die Unternehme­nsteuer von 33,3 auf 25 Prozent zu reduzieren: „Die Senkung der Unternehme­nsabgaben würde uns nur mit Osteuropa oder Asien in Konkurrenz setzen. Frankreich muss eher auf Qualitätsp­rodukte setzen und in diesem Bereich massiv investiere­n.“

Im Juli will sich Macron in der Nationalve­rsammlung – wo seine Partei La République en Marche die absolute Mehrheit hat – dann aber eine Generalvol­lmacht holen, um die Reform im September per Dekret in Kraft zu setzen.

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Foto: AFP/Dunand Im Eiltempo reformiere­n: Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.

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