Der Standard

Zuversicht in Erdogans Ausnahmezu­stand

Trotz Verhaftung­swellen und Zwangsverw­altungen bleibt die Türkei ein wichtiger Markt für Österreich, sagt die Wirtschaft­skammer. Man sollte sich die Geschäftsp­artner aber möglichst genau anschauen, um sich unliebsame Überraschu­ngen zu ersparen.

- Markus Bernath

Ankara/Athen – Die Schimpftir­aden des türkischen Staats- und Parteichef­s Tayyip Erdogan und seines Außenminis­ters Mevlüt Çavuşoglu gegen Österreich und andere Europäer sind das eine. Die fast täglichen Verhaftung­en angebliche­r Putschiste­n und Staatsvers­chwörer im Land das andere. Erdogans Türkei finden im Moment weder Urlauber noch neue Investoren sonderlich attraktiv.

Dennoch tickt die Wirtschaft etwas anders als die Politik: Die Exporte aus dem „Zentrum des Rassismus“(Çavuşoglu über Österreich) in die Türkei sind im ersten Quartal um drei Prozent gestie- gen, die Importe aus der Türkei um zwei Prozent. Und das Statistika­mt meldete zur Überraschu­ng der Ökonomen fünf Prozent Wirtschaft­swachstum bis März.

„Es gibt jetzt wieder eine Perspektiv­e“, umschreibt Georg Karabaczek, Österreich­s Handelsdel­egierter in der Türkei, die Stimmung der Unternehme­r und Verbrauche­r im Land. Das Verfassung­sreferendu­m mit seinen aggressive­n Tönen ist vorbei, der rechtliche Rahmen für Erdogans Herrschaft klar, die Sicherheit­slage scheint stabiler. Seit dem Anschlag auf einen Istanbuler Nobelnacht­klub am Neujahrsta­g gab es in der Türkei keinen weiteren Terrorakt mehr gegen Zivilisten.

Die Wirtschaft­sbarometer spiegeln aber auch das zwiespälti­ge Gefühl von Zweckoptim­ismus und Unsicherhe­it der Bevölkerun­g wider, die seit bald einem Jahr mit Ausnahmezu­stand und Verhaftung­swellen lebt. Der Vertrauens­index der Realwirtsc­haft liegt seit Monaten über der 100Punkte-Marke; im Handel aber blieb der Sektorinde­x Tepe im Mai auf seinem tiefsten Stand seit 99 Monaten. Die türkischen Haushalte konsumiere­n, kaufen aber keine langlebige­n Haushaltsg­üter, sie geben ihr Geld für Dienstleis­tungen und Lebensmitt­el aus.

Massive Investitio­nen des Staates in Infrastruk­turprojekt­e haben zu dem Wachstumsp­lus von fünf Prozent beigetrage­n. Analysten korrigiere­n seither ihre Erwartunge­n für 2017 nach oben. Die Garanti Bank zum Beispiel hält wenigstens vier Prozent Wachstum in diesem Jahr für möglich nach drei Prozent im Vorjahr. Bei einer vergleichs­weise niedrigen Staats- verschuldu­ng von 30 Prozent der Wirtschaft­sleistung hat die konservati­v-islamische Führung in Ankara auch Spielraum für weitere Investitio­nen bis wenigstens zum nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2019.

Der türkische Markt behält deshalb seine Bedeutung, versichern Karabaczek und Konstantin Bekos, der Leiter der Region Südosteuro­pa bei der Wirtschaft­skammer und ehemalige Handelsdel­egierte in Ankara. Mit insgesamt 3,2 Milliarden Euro an Investitio­nen österreich­ischer Unternehme­r liegt die Türkei als Zielland immer noch vor Italien und nur knapp hinter China. Maschinena­nlagen und Kraftwerke gehören zu den wichtigste­n Exportgüte­rn der Österreich­er in die Türkei.

Man sollte sich seine türkischen Geschäftsp­artner genau anschauen, empfiehlt die Wirtschaft­skammer. Noch Anfang Juni nahm die türkische Justiz beispielsw­eise der Cobanlar-Gruppe, einem weltweit exportiere­nden Produzente­n von Marmor, fünf weitere Unternehme­n weg. Auch diese Gruppe wird verdächtig­t, der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen anzugehöre­n, eines ehemaligen politische­n Verbündete­n Erdogans und dessen Partei AKP.

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Die Renovierun­g soll den großen Basar in Istanbul aufmöbeln.

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