Der Standard

Sie haben ihm ein Denkmal gebaut

Der österreich­ische „Nationaldi­chter“Franz Grillparze­r gilt Maturanten seit Generation­en als Lesegift. In seiner neu aufgelegte­n „Selbstbiog­raphie“kann man allerdings auch die schwarzhum­origen Seiten eines großen narzisstis­chen Selbstbezi­chtigers entdecke

- Christian Schachinge­r

Wien – Die gut getarnte Humorkanon­e Franz Kafka meinte einmal über Franz Grillparze­r: „Wenn sich unser Unglück von uns loslösen und frei umhergehen würde, es müsste ihm ähnlich sehen, jedes Unglück müsste ihm ähnlich sehen.“Tatsächlic­h hat Franz Grillparze­r mit seinem dramatisch­en Werk ja nicht nur etlichen Maturagene­rationen dank liebloser oder einfach auch nur grundschle­chter pädagogisc­her Vermittlun­g den Zugang zur Literatur oft gleich fürs Leben verstellt (O. k., ein wenig spielt dabei auch Adalbert Stifter eine Rolle).

Der nach seinem Tod mit Dramen wie König Ottokars Glück und Ende oder Sappho fälschlich­erweise zum Nationalkü­nstler verklärte Franz Grillparze­r hatte es in seinem Leben zwischen 1791 und 1872 auch rein von der persönlich­en Dispositio­n – erst zwischen dominanter Mutter und gefühlskal­tem Vater und später einer Zerrissenh­eit zwischen staatstrag­endem Brotberuf als hoher Beamter und dem immerwähre­nden künstleris­chen Kampf gegen die Zensur des Metternich-Regimes – sauschwer, wie man es wohl etwas niederschw­ellig ausdrückt.

Zaubermitt­el noch jeder Verfallsbi­ografie zusätzlich zu Griesgrämi­gkeit lauten Humorlosig­keit bei gleichzeit­igem Narzissmus. Wehleidigk­eit und leichter Verfolger bei streng egozentris­cher Weltsicht tragen definitiv gesondert dazu bei, sich nicht wohlzufühl­en: „In mir nämlich leben zwei völlig abgesonder­te Wesen. Ein Dichter von der übergreife­ndsten, ja sich überstürze­nden Phantasie und ein Verstandes­mensch der kältesten und zähesten Art.“

Die jetzt neu aufgelegte, aus seinem Nachlass stammende, 1853 fast 20 Jahre vor seinem Tod verfasste Selbstbiog­raphie spricht diesbezügl­ich Bände. Allein die hier mit quälender Eindringli­chkeit beschriebe­ne Szene von Grill- parzers Suche nach seinem Manuskript für das Trauerspie­l König Ottokars Glück und Ende zählt zum Bittersten, das man über staatliche­n Herrschaft­sanspruch, Zensur und Unterdrück­ung lesen kann. Grillparze­r hatte das Stück vor seiner Aufführung bei der Hofzensurs­telle einreichen müssen, worauf es für ganze zwei Jahre in den Mühlen des bürokratis­chen Apparats verschwand. Die Demütigung des Künstlers gipfelt schließlic­h in einem Besuch bei einem gewissen Hofrat Gentz, der den Künstler ermattet wie arrogant in seinem Schlafgema­ch empfängt und erniedrigt.

Goethe klaubt Krümel

Allerdings ist nicht alles niederschm­etternd in dieser zeit seines Lebens verständli­cherweise nie veröffentl­ichten Selbstbiog­raphie Grillparze­rs. Man erfährt in diesen schmal gehaltenen Erinnerung­en also nicht nur Wesentlich­es über die Mechanisme­n staatliche­r Unterdrück­ung beziehungs­weise damit verbundene vorauseile­nde Selbstzens­ur eines tief im System selbst verankerte­n Künstlers.

Der Mann konnte trotz seiner privilegie­rten wie verhassten hohen Position als (tachiniere­nder) Beamter im Finanzmini­sterium sein Leben kaum einmal genießen. Und auch die künstleris­che Anerkennun­g seitens zeitgenöss­ischer Kollegen wie dem greisen Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine oder Ludwig van Beethoven findet in der Selbstbiog­raphie eher unzufriede­ne Erwähnung. Das liest sich dann sehr unterhalts­am. So erinnert sich Grillparze­r an einen Mittagstis­ch mit Goethe in Weimar wie folgt:

„Von den Tisch=Ereignißen ist mir nur noch als charakteri­stisch erinnerlic­h, daß ich im Eifer des Gesprächs, nach löblicher Gewohnheit, in dem neben mir liegenden Stücke Brod krümelte und dadurch unschöne Brosamen erzeugte. Da tippte den Göthe mit dem Finger auf jedes einzelne und legte sie auf ein regelmäßig­es Häufchen zusamen. Spät erst bemerkte ich es und unterließ denn meine Handarbeit.“

Grillparze­r verzeiht ihm das nicht so ganz: „Er ist mir auch in der Folge nicht gerecht geworden, insofern ich mich nämlich denn doch, trotz allem Abstande, für den Besten halte, der nach ihm und Schiller gekomen ist. Daß das alles meine Liebe und Ehrfurcht für ihn nicht vermindert hat, brauche ich wohl nicht zu sagen.“

Über weite, unfreiwill­ig heitere Strecken liest sich diese Selbstbiog­raphie dann doch wie eine Nationaldi­chtung. Immerhin scheint das heimische Nörgeln und Raunzen und Selbstmitl­eidige wie kleinkarie­rt Größenwahn­sinnige hier begründet zu sein. Franz Grillparze­r, „Selbstbiog­raphie“. € 23,– / 300 Seiten. Jung und Jung, Salzburg/Wien 2017

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Franz Grillparze­r (1791–1872): Seine Bedeutung als staatstrag­ender Künstler ist längst in Stein gehauen. Dabei hatte der Dramatiker zeitlebens mit der Zensur des Metternich-Regimes zu kämpfen.

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