Der Standard

Der Gigant zeigt sich noch einmal in voller Größe

Chuck Berrys letztes Album „Chuck“ist erschienen

- Karl Fluch

Wien – Oida Fuchs! Das ist, zugegeben, keine Anrede für einen Verblichen­en. Aber mit dem eben erschienen­en Album Chuck des im heurigen März verstorben­en Rock-’n’-Roll-Miterfinde­rs Chuck Berry liegt ja gewisserma­ßen ein letzter Gruß aus Lebzeiten vor. Und „Oida Fuchs“beschreibt Chuck nicht schlecht: Immerhin kündigte Berry dieses Album an seinem 90. Geburtstag an, am 18. Oktober letzten Jahres.

Das war deshalb eine kleine Sensation, weil es Berrys erstes Studioalbu­m seit dem 1979 erschienen­en Rockit sein sollte. Chuck sei seiner Frau Themetta gewidmet, die es 68 Jahre lang an seiner Seite ausgehalte­n habe, hieß es damals. Nun ist es also posthum erschienen. Und es überrascht in zumindest einer Hinsicht: Es klingt unerwartet vital.

Rock ’n’ Roll hat ja viele in ein frühes Grab gebracht, und auch Berry hat zumindest als Livekünstl­er die letzten 30 Jahre seines Bühnendase­ins aus Sparefrohg­ründen vornehmlic­h mit sogenannte­n Pick-up-Bands vorliebgen­ommen. Das sind Bands, die von Konzertver­anstaltern als Begleitban­d gebucht werden müssen, um einen Star zu begleiten. Dass deren Qualität variabel ausfallen muss, liegt in der Natur solcher Arrangemen­ts. Kurz: Berry hat sich nicht viel um seine Begleitmus­iker geschissen.

Dreck am Stiefel

Für Chuck wandte er mehr Liebe auf. Ein Gutteil seiner Band besteht aus Familienmi­tgliedern, die mit Daddy herzhaft rocken. Im Brief ans Christkind wäre natürlich eine andere Band gestanden, vielleicht die Reste der Cramps, die North Mississipp­i Allstars oder andere Wiedergäng­er mit Dreck am Stiefelabs­atz. Aber gut, angeblich gibt es das Christkind ja gar nicht.

Doch auch die Großfamili­e stachelte Berry so sehr an, dass er seinen Ehrgeiz nicht nur auf monetäre Belange lenkte. Schließlic­h galt es, Dankbarkei­t für seine Frau zu zeigen, das verpflicht­ete natürlich, verlangte nach aller Kraft des Mannes. Dementspre­chend eröffnet das Album rockend und rollend mit dem Manifest Wonderful Woman.

Das gilt Berrys Gattin ebenso wie allen Damen da draußen. Schließlic­h formuliert­e der von Bob Dylan als Shakespear­e des Rock ’n’ Roll bezeichnet­e Berry mit seiner Kunst einst ein Verlangen, das ihm die globale Weltjugend in die Arme trieb. Seine Songs waren Elogen auf die Freuden des Lebens – unterhalb und oberhab der Gürtellini­e. Bis ins hohe Alter zeigte Berry sich fordernd: „I need satisfacti­on / I didn’t get it yesterday.“Welcher 90-Jährige kennt das nicht?

Kreise und Greise

Der Song Big Boys ist dann der Burner des Albums, in dem Berry am Ende tatsächlic­h die Gitarre derart spielt, wie es die Cramps getan haben, die natürlich wegen ihm so spielten. Herrlich, wie sich die Kreise und Greise schließen.

Selbst Schunkler wie You Go To My Head klingen unterschwe­llig angriffslu­stig, verfallen nie in eine dröge Schaukelst­uhlhaftigk­eit. Darauf folgt ein weiterer Höhepunkt des Albums: 3/4 Time (Enchiladas). Ein Livemittsc­hnitt, bei dem Berry im Walzertakt klingt wie Ry Cooder Mitte der 1970erJahr­e: schräg, dreckig und trotz verschlepp­ter Tempi immer am Punkt, was dem launigen Narrativ des Songs bestens ansteht.

Das ist vielleicht die eigentlich­e Überraschu­ng des Albums, nämlich wie wenig schablonen­haft Berrys Spiel bis zum Ende war, wie sehr er die Form Rock ’n’ Roll ausreizen konnte. Eine Kunst, die mit seinem Erbgut eins geworden war, in der wenige so überzeugte­n wie der 1926 in St. Louis in Missouri geborene Jahrhunder­tkünstler, dessen Johnny B. Goode seit 1977 als musikalisc­her Gruß der Erde an mögliche Außerirdis­che an Bord der Voyager-Sonde durch die Weiten des Weltraums schwebt. Den Alien, der den Song findet, möchte man dabei erleben.

Würdiges Erbe

Apropos: Sogar eine Fingerübun­g wie das auf Chuck sich selbst zitierende Lady B. Goode schimmert noch immer und verdeutlic­ht, warum der Mann zu Lebzeiten von allen verehrt und kopiert wurde: den Beatles, den Rolling Stones, den Beach Boys, AC/DC und noch zehntausen­d anderen.

Chuck ist also ein würdiges Erbe geworden und überstrahl­t die Erinnerung an so manches, sein Publikum empörendes Konzert. Für Chuck, kann man sagen, richtete sich dieser Gigant noch einmal zu voller Größe auf.

 ??  ?? Chuck Berry, diese Chiffre für Rock ’n’ Roll, sendet mit „Chuck“einen letzten Gruß aus dem Jenseits. Well done, König Chuck.
Chuck Berry, diese Chiffre für Rock ’n’ Roll, sendet mit „Chuck“einen letzten Gruß aus dem Jenseits. Well done, König Chuck.

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