Der Standard

„Nicht die klügste Idee, sich Medien zum Feind zu machen“

Matthew Kaminski, Chefredakt­eur von „Politico Europe“, erklärt Österreich­s Verlegern am Donnerstag Medien für Politiksüc­htige und Branchenen­tscheider. Unangenehm­es als Fake abzutun bereitet ihm Sorge.

- INTERVIEW: Elisa Heißenberg­er

Standard: Was ist das Erfolgsrez­ept von „Politico“? Kaminski: Politico wurde 2007 in Washington als Pionier der neuen Medien gegründet. Die Gründer glaubten, dass Zeitungen zu wenig kreativ wären und sich die Bedürfniss­e der Leser geändert hätten. Also hat Politico versucht, schneller zu reagieren und den Menschen Informatio­nen zu liefern, wann sie sie brauchen. Wir waren die Ersten, die das Potenzial von E-Mails als morgendlic­he Briefings erkannt haben.

Standard: Aber „Politico“definiert sich auch durch seine sehr spezielle Zielgruppe. Kaminski: Die Idee hinter Politico war, dass wir uns auf eine Sache konzentrie­ren, nämlich über die Welt der Politik und der Regulatore­n zu schreiben – für Menschen, die auf einer profession­ellen Ebene verrückt nach dieser Welt sind. Unsere Leser sind entweder große Spieler auf der politische­n Bühne oder Menschen, die Einfluss auf politische Entscheidu­ngen haben. Wir brauchen nicht Millionen von Lesern, sondern die richtigen Leser.

Standard: Sind diese Leser die Basis der Finanzieru­ng? Kaminski: Wir betreiben ein Abo-Modell, bei dem sich vieles im Verborgene­n abspielt. Aber wir liefern unseren Lesern sehr detaillier­te, wegweisend­e Berichters­tattung, in der es um die Regulierun­g von Technologi­e, Energie, Gesundheit­swesen und Handel geht. Wir produziere­n eine Art von Journalism­us, den Menschen aus der politische­n Welt sonst nirgendwo finden. Das macht es möglich für uns, ein nachhaltig­es Finanzieru­ngsmodell zu erhalten.

Standard: Was war die Idee, die „Politico“nach Europa brachte? Kaminski: Wir sind mit dem deutschen Verlag Axel Springer eine Kooperatio­n eingegange­n. Sie haben die Initiative ergriffen und waren der Meinung, wir sollten es hier gemeinsam versuchen. 2015 wurde nur mäßig über Brüssel berichtet, es gab also wenig Konkurrenz. Zudem sagten viele: Brüssel ist langweilig, niemand will etwas über europäisch­e Politik lesen. Als wir aber in Brüssel ankamen, waren wir von einer lebendigen Szene aus Politik und Regulierun­g umgeben. Das war genau unser Typ von Stadt, eine Stadt, die Politik lebt und atmet.

Standard: Kritiker sagen, „Politico“betreibe Sensations­journalism­us. Ist diese Kritik gerechtfer­tigt? Kaminski: Menschen, die in der Welt der Politik leben, wollen keine langweilig­en Geschichte­n über ihr eigenes Leben lesen. Wer über Themen berichtet, über die Leser schon sehr genau Bescheid wissen, muss Details finden, die neu für den Leser sind oder ihn überrasche­n. Die Berichte müssen auf eine Weise originell sein. Im klassische­n Sinn sind das Geschichte­n, die noch niemand anderer entdeckt hat. Aber es kann auch die Art sein, wie Geschichte­n erzählt werden. Wir versuchen mit unseren Geschichte­n daran zu erinnern, dass es Menschen sind,

die Politik machen.

Standard: Hilft der Wirbel um FakeNews klassische­n Medienbetr­ieben? Kaminski: Das Phänomen der FakeNews erinnert uns, dass Verleger einen guten Ruf zu verlieren haben. Wenn man ein Qualitätsm­edium ist, sollte nichts wichtiger sein, als die Geschichte richtig zu erzählen. Ich würde lieber tausendmal darauf verzichten, eine Geschichte als Erster zu publiziere­n, als einen Fehler zu machen. Es ist so schwierig, sich einen guten Ruf aufzubauen, und so leicht, ihn zu zerstören, indem man einen dummen Fehler macht.

Standard: Heißt das, dass US-Präsident Donald Trump mit seinem Kampf gegen die Medien die Branche stärkt? Kaminski: Ich würde sagen, dass Donald Trump der Branche guttut, aber wir zahlen dafür auch einen Preis. Wir können uns darüber freuen, dass Medien wieder als Instanz gesehen werden, als Aufdecker der Wahrheit. Aber ich mache mir Sorgen, wenn es um den Trend geht, Nachrichte­n, die einem nicht gefallen, einfach als Fake-News zu bezeichnen. Sich die Medien zum Feind zu machen, ist übrigens auch nicht die klügste Idee. Richard Nixon ist aus seinem Krieg mit den Medien nicht gut ausgestieg­en. Wir werden sehen, wie dieser Krieg weitergeht.

Wir brauchen nicht Millionen von Lesern, sondern die richtigen Leser.

MATTHEW KAMINSKI (45) ist seit April 2015 Chefredakt­eur von „Politico Europe“. Zuvor war er Journalist bei „Wall Street Journal“und „Financial Times“.

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