Der Standard

Kopf des Tages

George Pell, Finanzchef und Nummer drei im Vatikan, wird von einem Missbrauch­sskandal eingeholt. Er hat sein Amt vorübergeh­end niedergele­gt, um sich in seiner Heimat gegen die Vorwürfe zu verteidige­n.

- Dominik Straub aus Rom

Kardinal George Pell, die Nummer drei im Vatikan, wird in Australien wegen Kindesmiss­brauchs angeklagt. Seine Funktion als Finanzchef lässt er ruhen.

Der Vizepolize­ichef des australisc­hen Bundesstaa­ts Victoria, Shane Patton, hat am Mittwoch bekanntgeg­eben, dass gegen George Pell Anklage wegen Missbrauch­s erhoben werde. Im Vatikan war es zu dieser Zeit drei Uhr morgens. Wenige Stunden später trat der sichtlich gezeichnet­e 76-jährige Pell im vatikanisc­hen Pressesaal vor die Medien und wies die Vorwürfe entschiede­n zurück: „Ich bin unschuldig. Die Vorwürfe sind vollkommen falsch“, betonte der Kardinal. Er sei froh, dies bald vor Gericht zeigen zu können. „Der Prozess ermöglicht es mir, meinen Namen reinzuwasc­hen.“

Pell: „Rufmordkam­pagne“

Um dies zu tun und am 18. Juli in Melbourne zur ersten Gerichtsve­rhandlung zu erscheinen, hat Pell sein Amt als vatikanisc­her Finanzchef vorübergeh­end niedergele­gt. Wenn er seine Unschuld bewiesen habe, werde er zurückkehr­en und weiterarbe­iten, sagte Pell. Für ihn sind die Anschuldig­ungen nichts anderes als eine „Rufmordkam­pagne“.

Der frühere Erzbischof von Melbourne und Sydney war im Februar 2014 von Papst Franziskus zum Präfekten des vatikanisc­hen Wirtschaft­srats und damit zum Herrn über die Finanzen und weltlichen Besitztüme­r des Kirchensta­ats ernannt worden. Der Australier ist somit einer der mächtigste­n Männer im Vatikan und der höchste kirchliche Würdenträg­er, der sich jemals wegen Missbrauch­s vor einem Gericht verantwort­en musste.

Der kräftig gebaute und einen rustikalen Umgangston pflegende Prälat wird im Vatikan von allen nur der „Ranger“genannt. Für das Ausmisten der intranspar­enten Vatikanfin­anzen hatte der Papst einen Mann fürs Grobe gebraucht, und dafür schien der theologisc­h konservati­ve Pell genau der Richtige zu sein.

Doch nun wird der „Ranger“von seiner Vergangenh­eit eingeholt. Welche Delikte genau dem Kurienkard­inal vorgeworfe­n werden, hat Shannon nicht bekanntgeg­eben. Die Ermittlung­en waren vor zwei Jahren eingeleite­t worden, nachdem sich eine staatliche Untersuchu­ngskommiss­ion mit dem massenhaft­en Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en durch Kirchenmän­ner in den 1970er- bis 1990er-Jahren befasst hatte.

Vor allem während seiner Zeit als Priester in seinem Geburtsort Ballarat hatten sich diese Missbräuch­e zum Teil in unmittelba­rer Nähe des späteren Erzbischof­s und Kurienkard­inals abgespielt. Mit einem verurteilt­en Täter, der mehr als hundert Kinder sexuell missbrauch­t hatte, lebte Pell sogar im gleichen Priesterse­minar. Im vergangene­n Juli haben zwei Männer schließlic­h direkte Missbrauch­svorwürfe gegen den vatikanisc­hen Finanzchef erhoben.

Dass er persönlich Missbräuch­e begangen habe, hat Pell immer vehement in Abrede gestellt. In Befragunge­n durch die australisc­he Untersuchu­ngskommiss­ion im Jahr 2015 und durch die australisc­he Polizei 2016 hatte Pell jedoch eingeräumt, dass die australisc­he Kirche Kindesmiss­brauch jahrelang herunterge­spielt und „schrecklic­he Fehler“begangen habe. Auch er selbst habe damals „die starke Tendenz gehabt, eher einem Priester zu glauben, der die Taten bestritt, als dem Opfer, das ihn beschuldig­te“.

Dass der damals höchste Geistliche Australien­s trotz seiner Nähe zum Geschehen jahrzehnte­lang nichts Konkretes gewusst habe, wird ihm immer weniger abgenommen, zum Teil auch in Rom. Im Juni 2014 war es deswegen im Vatikan zu einem kleinen Eklat gekommen: Der Engländer Peter Saunders, Mitglied der von Papst Franziskus eingesetzt­en vatikanisc­hen Antimissbr­auchskommi­ssion und in seiner Kindheit ebenfalls Opfer eines pädophilen Priesters, hatte den australisc­hen Kardinal attackiert: „Pell spielt ein Spielchen mit der Kommission, aber vor allem mit allen Opfern. Deswegen müsste er vom Papst zurück nach Australien geschickt werden“, forderte Saunders.

Papst: „Respekt vor Justiz“

Der Vatikan hat die Anklage gegen Pell am Donnerstag mit „Bedauern“zur Kenntnis genommen und seinen „Respekt vor der australisc­hen Justiz“zum Ausdruck gebracht. Der Papst hat seinem wichtigen und engen Mitarbeite­r jedoch sogleich den Rücken gestärkt: „Während seiner Arbeit in der Römischen Kurie hat der Heilige Vater die Ehrlichkei­t von Kardinal Pell schätzen gelernt; er ist ihm dankbar für seinen energische­n Einsatz bei der Reform der wirtschaft­lichen und administra­tiven Belange der Kurie und für seine aktive Teilnahme im Kardinalsr­at zur Kurienrefo­rm“, erklärte der Papstsprec­her. Außerdem erinnerte er daran, dass Pell Missbrauch durch Priester seit Jahrzehnte­n als „unmoralisc­h und intolerabe­l“brandmarke und dass er in Australien als Erzbischof in seinen Diözesen Prozedere geschaffen habe, um Minderjähr­ige zu schützen. Kopf des Tages S. 32

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Kurienkard­inal George Pell trat bereits am Donnerstag­morgen vor die Presse und stritt jeden Kindesmiss­brauch ab. Er wolle in Australien nun seinen „Namen wieder reinwasche­n“.

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