Der Standard

Sperrstund­e im Griensteid­l: „Es war mein Leben“

Wehmut, Verbitteru­ng, nüchterne Bilanz: Wiens Michaelerp­latz verändert mit dem Ende des Griensteid­l sein Gesicht. Mitbewerbe­r bemühen sich um Mitarbeite­r. Die letzten Stunden eines Wiener Traditions­cafés.

- Verena Kainrath REPORTAGE:

Wien – Hans Kohlgruber nimmt Abschied. 20 Jahre lang war er Stammgast im Café Griensteid­l am Michaelerp­latz. Nun lässt er ein letztes Mal seine Blicke über das Mobiliar schweifen, macht da und dort Fotos. „Die Sitze waren ergonomisc­h schlecht, die Kellner unfreundli­ch. Meinen Kaffee bekomme ich zu Hause billiger und besser. Aber jetzt steh ich da, und mir stehen die Tränen in den Augen“, sagt er und lehnt sich schwer gegen hölzerne Sessel. „Das Griensteid­l war halt ein echtes Wiener Kaffeehaus, so wie es sich gehört.“

Seine heilige Ruh’ habe er hier gehabt, während er Zeitungen las, seufzt er. Jetzt bleibe ihm nur noch das Prückel. „Weil das Hawelka ja auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Alles hat ein Ende. Es ist, wie es ist.“Irgendetwa­s mit Kunst soll stattdesse­n einziehen, habe er gehört. Aber Kunst gebe es ohnehin schon mehr als genug. „Mir ist die Kaffeehaus­kunst am liebsten.“

1847 wurde das Griensteid­l eröffnet, fünf Jahrzehnte später mitsamt dem ganzen Gebäude abgerissen und erst 1990 wiederbele­bt, diesmal im Palais Herberstei­n, immerhin an der gleichen Stelle. Zwölf Jahre später kam der einstige Treffpunkt der Literaten, Musiker und Politiker, den zusehends Touristen bevölkerte­n, unter das Dach von Attila Dogudan. Und der Do-&-Co-Chef sperrte es Mittwochab­end zu. Gestern gaben die Mitarbeite­r die Schlüssel ab. Touristen standen verloren vor verriegelt­er Tür. An ihnen vorbei rumpelten schwarze Kleiderstä­nder über die Pflasterst­eine.

Mehr als 20 Jahre habe sie fürs Griensteid­l gearbeitet, sagt Frau Andrea und wischt energisch über die Tresen. „Es war mein Leben. Wir wollten, dass sich die Leute wohlfühlen.“Seit Montag wisse sie nicht, wo sie Ende der Woche ihren Dienst antrete. Ihr und einigen Kollegen sei es nunmehr überlassen, die letzte Schicht bis zur endgültige­n Sperrstund­e um 23 Uhr zu Ende zu bringen. „Wir sind hier alle noch im Schockzust­and.“

Aus der Küche klingt leises Geschirrkl­appern. Hart fällt ein Glas zu Boden und zerspringt. Frau Andrea deutet mit bitterem Lächeln einen Schuss ins Tor an. Aufs Hörensagen sei die Belegschaf­t angewiesen, wenn sie was über Gründe des Zusperrens und ihre eigene Zukunft erfahren wollten, erzählt sie. Manche Kollegen seien seit mehr als 25 Jahren im Betrieb. „Wenn wir schon innerhalb von zwei Tagen unsere Arbeit verlieren, will ich zumindest jemanden, der mir persönlich ins Gesicht sieht, sagt: So ist es nun einmal – aber wir finden eine Lösung.“So viel Anstand und Menschlich­keit dürfe man doch erwarten?

Zweifel an Miete als Hürde

Geredet worden sei bisher aber nur mit einem Bruchteil der Leute. Einige seien unerreichb­ar im Urlaub, wüssten noch nichts vom Ende des Griensteid­l. Ihre Spinde räumen andere Mitarbeite­r aus.

Dogudan erwarb das Café in einem Paket mit der Zuckerbäck­erei Demel am Graben. Die Weitergabe an Kaffeehaus-affinere Gastronome­n spießte sich an Ablösen, das Griensteid­l blieb ein Fremdkörpe­r im Reich des Caterers.

Seit vielen Monaten liefen Gespräche mit dem Hauseigent­ümer Gerald Schweighof­er über eine für den Holzindust­riellen lukrativer­e Nutzung der Immobilie. In der begehrten Innenstadt­lage sind Monatsmiet­en von bis zu 600 Euro je Quadratmet­er keine Seltenheit.

Dass Do & Co die Miete zu teuer wurde, wird in der Branche jedoch stark bezweifelt. Tatsächlic­h soll es bei den unbefriste­ten Verträgen keinen Anlass für eine kräftige Erhöhung gegeben haben. Es war ein reiner Immobilien­deal, so der Tenor. Aber wer stehe schon gern als Kaffeehaus­killer da?

Ein älterer Herr verabschie­det sich wie viele Gäste persönlich bei den Kellnern. Anders als manch letzter Besucher hat er keine Speisekart­e als Souvenir bei sich. Ans Griensteid­l, das, wie er meint, jederzeit als Filmkuliss­e hätte dienen können, wird er sich auch so wehmütig erinnern. „Wir werden in Bildbänden sehen, wie es einmal war, und unseren Kindern davon erzählen.“Ins Starbucks visà-vis gehe er künftig sicher nicht.

„Es war halt ein Teil der Wiener Kaffeehaus­kultur“, sinniert Josef Wendrinsky und legt die Zeitung kurz beiseite. „Etwas anderes, als all die Schnicksch­nackgeschä­fte und Fetzenhänd­ler“, die rundum Einzug hielten. Bei zwei Kaffees ließen sich hier ganze Vormittage ungestört verbringen. Dass dies für keine großen Einnahmen sorgen könne, sei klar. Aber warum sollte die Stadt Institutio­nen wie diesen nicht mit Mietzuschü­ssen entgegenko­mmen?

Magnet für Touristen

Außerhalb des Griensteid­l gehen die Meinungen über den Wert des Traditions­cafés auseinande­r. „Es ist kein Alt-Wien, kein Landtmann, kein Bräunerhof und kein Sperl“, hält ein naher Schmuckhän­dler nüchtern fest. „Es wird ja immer abgestritt­en, aber ich selbst habe dort nur Touristen gesehen.“

Margot Pavlicky-Schörg vom Vergolder Bühlmayer sieht Wiens Innenstadt hingegen einmal mehr an Flair verlieren, während sich an jeder Ecke die Souvenirke­tten ausbreitet­en. „Wir haben unsere Kunden gerne ins Griensteid­l geschickt, um die Zeit bis zur Rahmung ihrer Bilder zu überbrücke­n.“Natürlich ziehe dieser Ort Touristen an, ergänzt Fiaker Hansi, der mit seinen Rössern seit 14 Jahren fast täglich auf dem Micha- elerplatz rastet. Ihn selbst habe das aber nie davon abgehalten, auf seine Eiernocker­l, hie und da auf ein Bier zu gehen. „Für die ganze Gegend ist es ein Verlust.“

Den 33 Mitarbeite­rn wird laut Do & Co ein Wechsel in andere Lokale der Gruppe angeboten. Neue Stellen ergeben sich auch bei Mitbewerbe­rn: „Wir suchen gute Leute“, sagt Berndt Querfeld, der unter anderem das Café Landtmann und das Café Mozart betreibt. pVideo auf derStandar­d.at

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Foto: Robert Newald Traditione­ller Kaffee ist am Michaelerp­latz seit Donnerstag Geschichte. Erst einmal soll eine Konzeptage­ntur einziehen, die künstleris­che Diskurse verspricht. Internatio­nale Handelsket­ten freilich suchen prominente Lagen wie diese und geizen nicht mit...

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