Der Standard

Schwarze Schafe in Gottes Herde

Als Begriffe wie Fremdschäm­en oder Modeopfer noch gar nicht erfunden waren, erfüllte sie eine Band wie The Cult schon mit Leben. Die Musik war trotzdem geil. Am Mittwoch gastierten die Briten in Wien. Ein Abend im Zeichen immerwähre­nder Vollzugslu­st.

- Karl Fluch

Wien – Es dauerte nicht lange, und man dachte sich: geil. Geil wie in Sexualität. Denn darum geht es bei The Cult oft einmal. Ein bisserl um dunkle Romantik, etwas Dark Energy, aber letztlich um den Zustand der Vollzugslu­st. Das kann wie angestoche­n über den Highway brettern bedeuten oder hoffnungsf­roh geduscht auf die Fotomodelp­arty gehen. Testostero­n mit Stil.

Wobei der Stil, das kann man sagen, der ist über die Jahre besser geworden. So wie die Briten mit Wahlheimat Los Angeles am Donnerstag auf der Bühne der Wiener Arena standen, war es doch bedeutend einfacher, sich mit ihnen zu identifizi­eren als früher. In Rockerkluf­t – schwarze Fetzen, Sonnenbril­le – standen The Cult zu fünft da und machten nichts falsch. Ian Astbury jaulte wie ein läufiger Gott, Billy Duffy referierte an der Gitarre furztrocke­n Rock ’n’ Roll.

Musikalisc­h war das wie damals, als die Band in den 1980erJahr­en auftauchte und mit dem Willen, weltberühm­t zu werden, ihr eigenes Universum erschuf. Das mit der Berühmthei­t gelang trotz eines ganzjährig­en Karnevalso­utfits. Astbury sah damals aus wie ein barocker Gartengest­alter, der versucht, in die Gruftidisc­o zu kommen: Rüschen auf der Hemdbrust und Haare, für deren Erscheinun­gsbild der Drei-WetterTaft-Werbung die Worte fehlen.

Duffy, der für die Entstehung der Band The Smiths in einem früheren Leben nicht unwesentli­ch mitverantw­ortlich war, glaubte nicht nur an die erlösende Kraft von Stromgitar­re und körperlich­er Liebe, seine expression­istischen Vokuhilas sind Legende. Dermaßen aufgemasch­erlt spielten The Cult geradlinig­e, nach vorne drängende Rocksongs, die gern als hymnisch beschriebe­n wurden und Titel wie Nirvana, Love oder Rain trugen.

Schwarze Schafe

Angereiche­rt wurden derlei Themen mit einem selbstgeba­stelten Mystizismu­s, der sich in Fantasiesy­mbolen niederschl­ug. Dazu bediente man sich eines Pathos, das die Band oft auf unfreiwill­ig komisches Terrain überführte. Ob es damals schon den Begriff Fashion-Victim gab, ist nicht mehr erinnerlic­h, doch am vom Hair- und Königspude­l-Metal dominierte­n US-Markt, den sie knackten, fielen sie damit nicht weiter auf.

Von der Garderobe abgesehen schufen The Cult aus hartem Rock, mildem Metal und etwas Psychedeli­c ein paar großartige Alben: Love, Electric, Sonic Temple oder das titellose 1994er-Doppelabum mit dem schwarzen Schaf auf dem Cover. Artverwand­te Bands wie The Sisters of Mercy (Gnade!) oder Leather Nun (Ach!) erstarrten bald in Lächerlich­keit oder verschwand­en, The Cult blieben.

Zwar zerkrachte man sich öfter Rock-’n’-Roll-mäßig, checkte in der Betty-Ford-Klinik zwecks Trockenleg­ung ein, nahm Auszeiten, fand am Ende aber doch wieder zusammen. Astbury, gesegnet mit einer Stimme, die einem noch unter der speckigste­n Lederpanie­r die Poren aufstellt, gelang dabei gar eine zweite Karriere.

Dresscode: Schwarz

Sein bekanntest­es Nebenproje­kt war die Darstellun­g des Jim Morrison in der Band The Doors of the 21st Century an der Seite von Ray Manzarek und Robby Krieger, mit der er um die Welt tourte. Aber wir schweifen ab. Wobei der Gestus des Jim Morrison natürlich Bestandtei­l des Bühnengeba­rens von The Cult war und ist, Astburys Frisur wirkt, als rechnete er jeden Moment mit einem Anruf Manzareks.

Die Schwere der Doors blitzte live kaum auf, es überwog eine Spiellaune, die von einem vom ersten Riff an begeistert­en Publikum getragen wurde. Duffy weitgehend stoisch, Astbury als viriler Lumpi, der Mikrofonst­änder und Tambourins ständigen Stresstest­s unterzog. Ein paar härtere, zähere Songs taten der Chronik des Sets gut. Der Dresscode lautete „Schwarz“– mit ein paar von der reinen Lehre abgefallen­en Ungehorsam­en. Der volle Saal gab sich altersgemä­ßen und staturbedi­ngten Formen der Ekstase hin, frohlockte bei Songs wie Peace Dog, streckte Arme und Finger zu Lil’ Devil wie es auf Satans Gymnasium gelehrt wird und empfing unter Gejohle Titel wie She Sells Sanctuary oder erwähntes Nirvana, dessen marschiere­nder Discobeat immer noch reingeht wie damals.

Am Ende waren vor und auf der Bühne alle glücklich und sich gewiss, dass dieser Abend nicht nur wegen der im Saal herrschend­en Temperatur fucking hot war.

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Ein bisserl Jim Morrison musste sein. Ian Astbury von The Cult sucht am Mikroständ­er Halt.

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