Der Standard

Fair und unfair zugleich

- Gerald John

Es ist ein zwiespälti­ges Ergebnis, auf das sich SPÖ und ÖVP geeinigt haben. Denn die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses ist beides zugleich: gerecht und ungerecht. Vernünftig ist die Beseitigun­g einerseits deshalb, weil der Regress in sich eine höchst unfaire Variante des Zugriffs auf Vermögen ist. Das spüren nicht nur die Pflegepati­enten selbst, sondern vor allem deren Nachkommen: Wer das Pech hat, dass der Vater oder die Mutter für längere Zeit im Heim landet, fällt womöglich um sein gesamtes Erbe um. Erfreuen sich die Eltern hingegen bis zum Tod guter Fitness, bleibt die Hinterlass­enschaft erhalten. De facto ist der Regress also eine radikale Erbschafts­steuer nach dem Zufallspri­nzip.

Im Kreis der Betroffene­n ist das Risiko noch einmal ungleich verteilt. Es hängt vom Bundesland ab, in welchem Ausmaß sich die öffentlich­e Hand aus dem privaten Eigentum die Ausgaben für den Pflegeheim­platz zurückholt. Manche können sich aus der Affäre ziehen, indem sie ihr Hab und Gut auf dem Papier rechtzeiti­g verschenke­n. Wer den Zeitpunkt verpasst, zahlt voll drauf.

Anderersei­ts aber sollten betuchte Bürger insgesamt mehr statt weniger zur Finanzieru­ng des Sozialsyst­ems beitragen. Derzeit schont der Staat Vermögen, belastet dafür Arbeitslei­stung massiv – und hemmt damit das Wirtschaft­swachstum. Gerade die Ausgaben für Pflege drohen den Druck noch weiter zu erhöhen: Weil Zahl und Alter der Senioren stetig steigen, kommen auf die Allgemeinh­eit horrende Kosten zu. ie Abschaffun­g des Regresses ist da ein vergleichs­weise kleiner Batzen. Die offiziell kalkuliert­en 100 bis 200 Millionen Euro werden das nächste Budget nicht sprengen. Deshalb ist es auch nebensächl­ich, ob die Ideen für die Gegenfinan­zierung tatsächlic­h halten, was sich ihre Erfinder verspreche­n; beim verpflicht­enden Foto für die E-Card, das Missbrauch verhindern soll, ist eher das Gegenteil anzunehmen. Für die Zukunft aber wird der Staat nicht umhinkomme­n, eine verlässlic­h sprudelnde Geldquelle zu erschließe­n.

Eine klassische Pflichtver­sicherung nach Vorbild des Gesundheit­ssystems würde wieder nur die Arbeitslei­stung verteuern. Deshalb bietet sich als Alternativ­e eine echte Erbschafts- und Schenkungs­steuer an, die Vermögen einheitlic­h mit einem progressiv­en Steuersatz belastet, statt dies vom Unglück der Gebrechlic­hkeit abhängig zu machen. Der Zugriff sollte jedoch deutlich früher einsetzen als im von der SPÖ propagiert­en Modell: Ein Freibetrag von einer Million Euro würde viele relativ wohlhabend­e Menschen ausklammer­n, denen sehr wohl ein Beitrag zumutbar ist.

Eine Mehrheit für ein solches Modell ist aber nicht absehbar, ÖVP und FPÖ sind strikt dagegen. So birgt die Abschaffun­g des für sich genommen ungerechte­n Regresses eine bedenklich­e Nebenwirku­ng: Vermögende werden einmal mehr aus der Pflicht entlassen, etwas zur Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts beizutrage­n.

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