Der Standard

SPÖ und ÖVP schaffen Pflegeregr­ess ab: Finanzieru­ng unklar

SPÖ und ÖVP einigten sich darauf, den Zugriff auf das Vermögen von Pflegeheim­bewohnern zu beenden. Doch der Plan für die Gegenfinan­zierung birgt Ungereimth­eiten.

- Gerald John Katharina Mittelstae­dt

Wien – Den Ländern ist es ab 2018 per Verfassung verboten, auf das Vermögen von Pflegeheim­bewohnern zuzugreife­n: Darauf haben sich SPÖ und ÖVP am Donnerstag geeinigt. Kompensier­t werden soll der Einnahmena­usfall unter anderem mit der Bekämpfung von Sozialmiss­brauch. Dafür sollen ECards mit einem Foto versehen werden – eine Idee, die der heutige Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) einst als nicht sinnvoll bezeichnet hat. Die Fotopflich­t soll überdies erst ab 2019 allmählich anlaufen – der Regress fällt laut Gesetz bereits 2018.

Nachdem die SPÖ gegen den Koalitions­partner ein höheres UniBudget durchgeset­zt hat, will die FPÖ die ÖVP ködern: Man werde all jene blauen Forderunge­n als Antrag einbringen, die nun auch VP-Chef Sebastian Kurz vertritt. (red)

Die ÖVP ist hart im Nehmen. Schwer gefoult fühlten sich die Türkis-Schwarzen, als die SPÖ am Mittwochab­end mit der Opposition einen Beschluss zur Uni-Finanzieru­ng durchgedrü­ckt hat (siehe unten). Doch auf Revanche verzichtet­e die kleinere Koalitions­partei erst einmal – im Gegenteil: Am Donnerstag willigte die ÖVP in ein Vorhaben ein, das SPÖ-Chef Christian Kern in seinem „Plan A“propagiert hat.

Besiegelt haben die Regierungs­parteien das Aus für den Pflegeregr­ess. Ab 2018 ist es den Bundesländ­ern per Verfassung­sgesetz verboten, auf das Vermögen von Pflegeheim­bewohnern zuzugreife­n, um die Kosten hereinzuho­len. Gleichzeit­ig verpflicht­et sich der Bund, den Ländern den Einnahmena­usfall zu kompensier­en.

Verbucht sind dafür im Gesetz jährlich 100 Millionen Euro. Sollten die Kosten darüber liegen, werde auch das abgegolten, heißt es. Das Sozialmini­sterium rechnet à la longue mit dem Doppelten.

Wie dieses Geld aufgetrieb­en werden soll, hatte die Koalition entzweit. Die SPÖ kam mit ihrem Ruf nach einer allgemeine­n Erbschafts­steuer für Vermögen über einer Million Euro erwartungs­gemäß nicht durch, die ÖVP mit einem eigenen Wunsch hingegen schon. Als eine von zwei Maßnahmen zur Gegenfinan­zierung ist die Bekämpfung von Missbrauch bei der E-Card vereinbart: Diese soll künftig mit einem Foto des Inhabers versehen werden, damit sich niemand anderer damit eine Behandlung erschwinde­ln kann.

Pikanterwe­ise setzt die ÖVP damit etwas durch, was ihr heutiger Finanzmini­ster einst abgelehnt hat. Anfang 2009 berichtete die Austria Presse Agentur von einer „klaren Absage“, die Hans Jörg Schelling, damals noch Chef des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungen, der Idee erteilt hatte. Die Einführung eines Fotos sei mit geschätzte­n 15 Millionen Euro „wahnsinnig kosteninte­nsiv“, befand Schelling damals.

Die von ihm einst angebotene Alternativ­e ist mittlerwei­le Gesetz: Wer sich in Ambulanzen oder Ordination­en über die E-Card behandeln lässt, muss seit dem Vorjahr einen Ausweis vorlegen. Wird Missbrauch damit nicht längst unterbunde­n? „Die Ausweispfl­icht funktionie­rt einfach nicht“, widerspric­ht ÖVP-Sozialspre­cher August Wöginger, „die Kontrolle wird nicht gemacht.“

Familienau­sflug zum Arzt

In vielen Gesprächen habe er erfahren, wie es laufe, sagt Wöginger. Die von ihm zitierte Beobachtun­g: In Österreich ansässige Personen holten Angehörige ins Land, um sie gratis behandeln zu lassen. Tatsächlic­h dokumentie­rt wird Jahr für Jahr aber nur eine Handvoll konkreter Fälle. Die Wiener Gebietskra­nkenkasse etwa zählte von 2014 bis 2016 21 Missbrauch­sfälle, der Schaden betrug knapp 7000 Euro.

Damit sich der Umrüstungs­aufwand in Grenzen hält, werden bestehende E-Cards nicht ad hoc ausgetausc­ht. Das Foto muss vorerst nur auf allen ab 2019 neu ausgegeben­en Karten prangen. Bis Ende 2023 soll die Bebilderun­g dann flächendec­kend erfolgt sein.

Damit tut sich allerdings eine Ungereimth­eit zwischen Ziel und Zeitplan auf: Während die vermeintli­che Missbrauch­sbremse erst ab 2019 allmählich greifen kann, soll der Pflegeregr­ess bereits 2018 fallen.

Das zweite Projekt zur Gegenfinan­zierung: Statt über den Umweg der Apotheken sollen Pflegeheim­e Arzneien künftig direkt beim Großhandel und bei Pharmafirm­en einkaufen können. Auch das soll Kosten sparen.

Überdies einigten sich SPÖ und ÖVP im Gesundheit­sbereich noch auf zusätzlich­e Leistungen. Wer bei der freiwillig­en Feuerwehr ist, kann sich wegen hoher Gefähr- dung künftig gratis gegen Hepatitis A und B impfen lassen. Verbesseru­ngen gibt es auch für Angehörige, die behinderte Kinder pflegen: Die Möglichkei­t, sich nachträgli­ch beitragsfr­ei selbst versichern zu lassen, wird ausgeweite­t.

Doch noch unter Dach und Fach gebracht haben SPÖ und ÖVP auch eine lange umstritten­e Novelle zum Ökostromge­setz (siehe unten). Die Grünen lieferten die nötige Zweidritte­lmehrheit.

ÖVP gegen „Ehe für alle“

Keine Überraschu­ng gab es in einer gesellscha­ftspolitis­chen Fahnenfrag­e. SPÖ, Grüne und Neos hatten einen Fristsetzu­ngsantrag für die „Ehe für alle“eingebrach­t. Damit ist Homosexuel­len die Ehe zwar noch nicht erlaubt, das Thema ist aber auf die Agenda für die nächste Sitzung gesetzt. In der SPÖ hatte man gehofft, dass sich die „neue Volksparte­i“unter Sebastian Kurz von der Schwesterp­artei CDU in Deutschlan­d inspiriere­n lässt, wo Kanzlerin Angela Merkel in dieser Frage den Fraktionsz­wang aufgehoben hat. Die ÖVP blieb aber bei ihrer altbekannt­en Position – und stimmte nicht mit.

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Gute Stimmung zwischen den Klubchefs Reinhold Lopatka (ÖVP) und Andreas Schieder (SPÖ): Trotz „Fouls“einigte sich die Koalition in einer publikumst­rächtigen Frage.

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