Der Standard

Kurz’ netter Taktiker für schwierige Fälle

Wolfgang Brandstett­er ist jener Mann, der Sebastian Kurz den Rücken freihält. Erst im Lauf der Zeit ist der leutselige Jurist dem Reiz der Macht erlegen. Eigentlich wollte er nie in die Politik, heute ist er Vizekanzle­r.

- Katharina Mittelstae­dt Günther Oswald

Der Vizekanzle­r staunt, als wäre es sein erstes Mal in einem Gefängnis. Er reißt die Augen auf und zieht die Brauen hoch, aha, soso, er lächelt. Ein arbeitende­r Häftling zeigt ihm, wie er Pakete schnürt. „Toll!“Dann richtet sich Wolfgang Brandstett­er an die Journalist­en, die ihn bei der Führung durch die Justizanst­alt Simmering begleiten: „Beschäftig­ung ist so wichtig. Das Schlimmste ist, wenn es keine Arbeit gibt.“Dabei nickt er, als würde er sich selbst recht geben, und schaut betroffen. Im nächsten Moment trägt er die Geschichte vor, dass sein Strafsekti­onschef in der Ministeriu­msjukebox am liebsten den Jailhouse Rock von Elvis auflege. Selbst die Kritik eines Justizwach­ebeamten, dass vor allem im Sommer viel zu wenig Personal im Haus sei, witzelt Brandstett­er weg: „Bei uns a“, sagt er und lacht laut auf.

„Er schafft es, den Eindruck zu erwecken, er sei der gutmütige Großvater“, sagt ein Mitarbeite­r des Justizmini­steriums. „Aber eigentlich hat er es faustdick hinter den Ohren.“

Ablösekand­idat als Aufsteiger

Brandstett­er ist nun seit fast vier Jahren Justizmini­ster. Der studierte Jurist und Strafrecht­sprofessor, der als Parteifrei­er von ÖVP-Chef Michael Spindelegg­er in die Regierung geholt wurde, galt immer wieder als Ablösekand­idat. Doch er hielt sich. Er überlebte Spindelegg­er, dessen Nachfolger Reinhold Mitterlehn­er, nach der Übernahme der Partei durch Sebastian Kurz geschah, was er zuvor wahrschein­lich sogar selbst für unmöglich gehalten hatte: Im Mai dieses Jahres wurde Brandstett­er zum Vizekanzle­r ernannt.

Er könne einfach gut mit Menschen, sagen die einen. Er sei ein Opportunis­t und nun das „Opferlamm“, weil Kurz sich nicht als Regierungs­vize habe verbrauche­n lassen wollen, manch andere.

Aktuell arbeitet „Brändi“, wie ihn Freunde nennen, für den 30jährigen ÖVP-Chef Vorschläge zur strengeren Bestrafung von Gewalttäte­rn aus – obwohl seine große Strafrecht­sreform erst im Vorjahr in Kraft trat. Die sei ein „Kompromiss“mit den Roten gewesen, sagt Brandstett­er heute. Vor der Wahl könne er nun präsentier­en, was er eigentlich wollte. Auch das in Teilen der SPÖ hochumstri­ttene Sicherheit­spaket samt Whatsapp-Überwachun­g soll der 59-Jährige nach Möglichkei­t noch vor Oktober in trockene Tücher bringen.

Mit Kurz verbindet ihn eine beinahe väterliche Freundscha­ft, die lange vor der Politik begründet wurde. Kennengele­rnt haben sie sich im niederöste­rreichisch­en Eggenburg im Waldvierte­l. Brandstett­er wohnt seit seiner Kindheit in der kleinen Stadtgemei­nde, die Mutter des neuen Parteiobma­nns kommt aus der Gegend.

Politische­r Erfinder beider war Spindelegg­er. Der frühere ÖVPChef konnte zwar keine großen Wahlerfolg­e einfahren, seine Personalau­swahl erwies sich im Nachhinein aber als goldrichti­g für die Partei. Es war 1982, als er Brandstett­er das erste Mal traf. Der war Assistent von Winfried Platzgumme­r am Institut für Strafrecht an der Uni Wien, Spindelegg­er ein Student. Er erinnert sich: „Ich habe damals eine ausgezeich­nete Klausur geschriebe­n. Brandstett­er hat mich dann gefragt, ob ich nicht Studienass­istent werden möchte.“Spindelegg­er wollte, die beiden blieben in Kontakt, sahen sich bei Treffen des Maria Plainer Kreises, eines rechtskons­ervativen Thinktanks, und bei Veranstalt­ungen der Cartellver­bindung Norica.

Als Strafverte­idiger machte sich Brandstett­er rasch einen Namen. Ein langjährig­er Kollege sagt: „Es gab normale Strafverte­idiger – und Wolfgang Brandstett­er.“Zu seinen Kunden zählten nicht nur Größen aus dem Showbusine­ss, sondern auch der umstritten­e frühere Botschafte­r Kasachstan­s, Rachat Alijew, Ex-Telekom-Manager Rudolf Fischer oder auch Werner Faymann in der Inseratena­ffäre.

Politische Ambitionen hatte Brandstett­er eigentlich nicht, versichern alle, die den Oldtimerun­d Modelleise­nbahn-Fan kennen, auch wenn er nie ein Geheimnis daraus machte, ein Bür- gerlicher zu sein. Erst spätere Weggefährt­en sagen dem leutselige­n Minister nach, im Laufe der Jahre doch einen gewissen Zug zur Macht entwickelt zu haben.

Loyalitäts­konflikt

Anfang des Jahres soll sich Brandstett­er in einem gewissen Loyalitäts­konflikt befunden haben. Nach einer neuerliche­n Regierungs­krise im Jänner konnten sich SPÖ und ÖVP nach tagelangen Verhandlun­gen auf ein neues Arbeitspro­gramm einigen. Kanzler Christian Kern verlangte von allen Ministern eine Unterschri­ft unter dem Pakt. Innenminis­ter Wolfgang Sobotka verweigert­e seine Signatur zuerst, was neuerlich für Unruhe sorgte. Kurz soll versucht haben, auch andere zu einer Unterschri­ftsverweig­erung zu bewegen – darunter Brandstett­er. Die Intention war es, so erzählen es mehrere Schwarze, den damaligen Noch-Parteichef Mitterlehn­er weiter zu schwächen.

Brandstett­er habe aber Mitterlehn­er über die Vorgänge informiert – und dann selbst bei Kern angerufen und versichert, nur So- botka sei aufmüpfig. Schließlic­h haben alle Regierungs­mitglieder das Papier unterzeich­net.

Fachlich ist Brandstett­er ziemlich unumstritt­en. An der Universitä­t Wien galt er zwar als etwas eigenwilli­g, aber als guter Rechtswiss­enschafter. Als Meilenstei­ne in seiner politische­n Karriere werden von Fachkolleg­en sein Erwachsene­nschutzges­etz und auch die Strafrecht­sreform genannt. Nicht gelungen ist ihm eine große Reform des Maßnahmenv­ollzugs. Auch der von ihm eingericht­ete Weisungsra­t, durch den Staatsanwä­lte unabhängig­er arbeiten sollen, sei eine „halbherzig­e Lösung“, sagen Juristen.

Wie es mit ihm weitergeht? Am Ende der Führung durch die Justizanst­alt Simmering wird die Gruppe noch durch das hauseigene Museum geleitet. In einem großen Bilderrahm­en sind dort alle Justizmini­ster abgebildet. Wolfgang Brandstett­er wendet sich an den Brigadier: „Viel Platz für neue Fotos ist da unten aber nicht mehr. Vielleicht sollte ich noch bleiben.“Er lacht.

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Foto: APA/Hochmuth Wolfgang Brandstett­er gilt als fachkundig und gutmütig.

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