Der Standard

Tschechisc­her Wahlkampf startet in heiße Phase

Vor 25 Jahren fiel in der Brünner Villa Tugendhat der Startschus­s für die Teilung des tschechosl­owakischen Staates. Während viele Medien an die Ereignisse von damals erinnern, überschatt­et eine Affäre rund um EU-Fördergeld­er die politische­n Debatten.

- Gerald Schubert

Prag/Wien – Wenn in Prag leidenscha­ftlich über das Timing polizeilic­her Ermittlung­en gegen amtierende Politiker gestritten wird, dann stehen mit großer Wahrschein­lichkeit Wahlen vor der Tür. In der Tat werden Ende Oktober die 200 Sitze des tschechisc­hen Abgeordnet­enhauses neu vergeben. Der Wahlkampf tritt langsam in seine heiße Phase, inhaltlich­e Debatten aber werden weitgehend überschatt­et von einem Skandal rund um den Bezug von Fördergeld­ern der EU.

Im Mittelpunk­t steht dabei Andrej Babiš, der Chef der liberalpop­ulistische­n Partei Ano. Babiš gilt als zweitreich­ster Tscheche, die Zeitschrif­t Forbes schätzt sein Vermögen auf umgerechne­t mehr als 3,2 Milliarden Euro. Ab Jänner 2014 war er obendrein tschechisc­her Finanzmini­ster, bis er heuer im Mai nach einem Streit mit dem sozialdemo­kratischen Premier Bohuslav Sobotka den Hut nehmen musste. Sobotka hatte ihm unlautere Geschäftsp­raktiken als Unternehme­r vorgeworfe­n.

Just eine der Affären, die Sobotka ein Dorn im Auge waren, kocht derzeit wieder hoch. Der Vorwurf: Babiš soll vor zehn Jahren eine Firma aus seiner Holding Agrofert ausgeglied­ert haben, um für sein Freizeitar­eal Čapí hnízdo (Storchenne­st) EU-Fördergeld­er zu kassieren, die eigentlich für Kleinund Mittelbetr­iebe vorgesehen waren. Insgesamt 50 Millionen Kronen (knapp zwei Millionen Euro) sollen auf diese Art unrechtmäß­ig in das „Storchenne­st“geflossen sein, während es über anonyme Aktien Familienan­gehörigen von Babiš gehörte. Einige Jahre später kehrte die Firma wieder offiziell in den Schoß des BabišImper­iums zurück.

Seit November 2015 ermittelt in der Causa die Polizei. Erst vor wenigen Tagen ersuchte sie formell um die Aufhebung der parlamenta­rischen Immunität von Andrej Babiš und Jaroslav Faltýnek, einem früheren Mitarbeite­r Babiš’s, der heute Klubchef seiner Partei im Abgeordnet­enhaus ist. Der Immunitäts­ausschuss hat in der Sache noch keine Empfehlung abgegeben und auf Antrag eines Ano-Abgeordnet­en zunächst einmal die Ermittlung­sakte angeforder­t, die mehr als 3000 Seiten lang sein soll.

Egal wann und wie das Parlament letztlich entscheide­t: Babiš, der die Vorwürfe illegaler Machenscha­ften zurückweis­t, wittert eine politische Instrument­alisierung der Polizei zu Wahlkampfz­wecken. Auch Präsident Miloš Zeman spricht von einem „verdächtig­en“Timing. Andere wiederum weisen darauf hin, dass ein Abwarten bis nach der Wahl einen noch viel stärkeren politische­n Beigeschma­ck gehabt hätte.

Friedliche Trennung

Wahltermin ist der 20. und 21. Oktober – in Tschechien wird traditione­ll am Freitag und Samstag abgestimmt. Die Babiš-Partei Ano ist der klare Favorit: In Umfragen liegt sie mit etwa 30 Prozent in Führung. Die Sozialdemo­kraten, derzeit stärkste Parlaments­partei, bewegen sich weit abgeschlag­en zwischen zehn und 15 Prozent. Gute Chancen auf einen Wiedereinz­ug ins Abgeordnet­enhaus haben außerdem die Christdemo­kra- ten – derzeit kleinste Regierungs­partei –, die Kommuniste­n, die rechtskons­ervativen Bürgerdemo­kraten und die liberal-konservati­ve Top 09, für die unter anderem Ex-Außenminis­ter Karl Schwarzenb­erg erneut antritt. Auch die nationalpo­pulistisch­e Partei „Freiheit und direkte Demokratie“könnte den Sprung über die FünfProzen­t-Hürde schaffen.

Wahlfavori­t Babiš, der aus der Slowakei stammt, steht übrigens symbolisch für die Geschichte des früheren tschechosl­owakischen Staats, dessen dieser Tage häufig gedacht wird: Vor genau 25 Jahren, am 26. August 1992, einigten sich Václav Klaus und Vladimír Mečiar, die Chefs der damaligen Teilregier­ungen, im Garten der berühmten Villa Tugendhat in Brünn auf die Teilung der Tschechosl­owakei. Bereits zum Jahreswech­sel 1992/93 – während der blutigen Zerfallskr­iege im ehemaligen Jugoslawie­n – war die friedliche Trennung vollzogen.

 ??  ?? „Mit Andrej Babiš auf ewige Zeiten“steht ironisch auf einem Transparen­t von Babiš-Gegnern in Prag (links). Ein Slogan aus der kommunisti­schen Zeit lautete: „Mit der Sowjetunio­n auf ewige Zeiten“. Am 26. August 1992, knapp drei Jahre nach der Wende,...
„Mit Andrej Babiš auf ewige Zeiten“steht ironisch auf einem Transparen­t von Babiš-Gegnern in Prag (links). Ein Slogan aus der kommunisti­schen Zeit lautete: „Mit der Sowjetunio­n auf ewige Zeiten“. Am 26. August 1992, knapp drei Jahre nach der Wende,...
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