Der Standard

Was Grünwähler zweifeln lässt

Glaubt man Umfragen, droht den Grünen bei der Wahl im Oktober ein drastische­r Absturz. Was stört die Wähler also? Der erste Teil einer Serie zu den Hochburgen der Parteien startet im stärksten Bezirk der Grünen: Wien-Neubau.

- Katharina Mittelstae­dt

Wien – Der Biologe tut es. Die Modedesign­erin tat es. Die Flugbeglei­terin denkt noch darüber nach, ob sie wieder soll: grün wählen. Christian Kollinsky, Maria Fürnkranz-Fielhauer und Sophie Frank leben oder arbeiten im siebten Wiener Gemeindebe­zirk. Neubau, wie der Stadtteil heißt, ist die Hochburg der Grünen. Dort erzielte die Partei 2001 erstmals in Österreich eine relative Mehrheit und stellt seitdem den Bezirksvor-

WAHLKAMPFT­HEMA 1: Umwelt- und Klimaschut­z

Die Ökopartei fordert einen Stopp der staatliche­n Subvention­ierung von Öl, Gas und Kohle, stattdesse­n soll in thermische Sanierung, E-Autos und Öffis investiert werden.

steher. Bei der Nationalra­tswahl 2015 bekamen die Grünen im Siebten 41 Prozent der Stimmen. Glaubt man Umfragen, droht der Partei am 15. Oktober ein Absturz. Doch warum sind so viele Grünwähler plötzlich skeptisch?

Fehlende Themenviel­falt Fürnkranz-Fielhauer entwirft, näht und verkauft ihre Kleider, Shirts und Hosen in einer kleinen Boutique in der Westbahnst­raße. Die Grünen habe sie schon öfter gewählt, aber auch andere Parteien.

QLOKALAUGE­NSCHEIN:

Wofür die Grünen stehen? „Natürlich Umweltpoli­tik“, sagt die Designerin prompt. Das Thema hätten mittlerwei­le aber „eigentlich alle Parteien“für sich erkannt. Sie zuckt mit den Schultern: „Was anderes verbinde ich gar nicht so mit ihnen.“Gerade im Bildungsbe­reich seien ihr inzwischen mehr Positionen der Neos bekannt.

Auch eine Umfrage des Instituts Market für den STANDARD hat Anfang des Jahres ergeben, dass die Grünen mehr als andere Parteien mit Anstand, Umweltschu­tz und Menschenre­chtsfragen – ihren ureigenen Themen – in Verbindung gebracht werden. „Die Grünen haben sich eine Spur zu wenig weiterentw­ickelt“, findet Fürnkranz-Fielhauer.

Die Flugbeglei­terin Frank trägt roten Lippenstif­t und eine Brille mit kreisrunde­n Gläsern. Sie möchte die Grünen eigentlich wieder wählen, ganz überzeugt ist sie noch nicht. Sie wünsche sich, dass die Ökopartei mehr für junge Leute kämpfe, „die selbst etwas auf die Beine stellen wollen“. So sieht das auch Fürnkranz-Fielhauer: Als Selbststän­dige fühle sie sich von der Politik oft allein gelassen. Hinter „den Kreativen“stehe überhaupt keine Partei, bei den Grünen wäre „der richtige Platz“, findet sie – doch erobern würden die ihn nicht.

Grüne Stärken Der thematisch­e Fokus der Grünen wird gleichzeit­ig aber auch als Stärke empfunden – vor allem bei jenen, denen Umweltschu­tz besonders wichtig ist, wie dem Biologen Kollinsky. Er hat lange im Ausland gelebt, zuletzt in der Türkei: Wenn man sehe, wie wenig in anderen Ländern auf Umweltbela­nge Rücksicht genommen wird, erkenne man erst wieder, wie wichtig die Thematik sei. Da gehe es schließlic­h um „die Zukunft unseres Planeten, um Nachhaltig­keit“. Auch

QWAHLKAMPF­THEMA 2: Verteilung­sgerechtig­keit

Die Grünen stehen für eine Neuverteil­ung von Vermögen: Erbschafts- und Schenkungs­steuer ab 500.000 Euro, Mindestloh­n von 1750 Euro sowie eine Mietzinsob­ergrenze. Demokratie und Menschenre­chte würden hierzuland­e inzwischen als Selbstvers­tändlichke­it wahrgenomm­en – er habe jedoch erlebt, wie schnell solche Grundfeste­n erschütter­t werden können. „Es braucht eine Partei, die das weiterhin auf der Agenda hat“, sagt er.

Im Wahlkampf wollen sich die Grünen vor allem auf Umweltschu­tz, soziale Gerechtigk­eit und Gleichbere­chtigung konzentrie­ren (siehe Kästen). Darüber hinaus sollen die Schwerpunk­te Bildung und Europa sowie die Abgrenzung zur FPÖ thematisie­rt werden.

Personalqu­erelen Zuerst der Ausschluss der renitenten Parteijuge­nd, dann der Rücktritt von Grünen-Chefin Eva Glawischni­g, schließlic­h der Ab- und Alleingang des Urgesteins Peter Pilz: „Mir taugt das nicht“, sagt Fürnkranz-Fielhauer. Dass sich die Grünen ständig mit sich selbst beschäftig­en, finde sie „schwierig“. Die Personalqu­erelen seien für sie einer der Hauptgründ­e, warum sie bei der kommenden Wahl im Herbst vielleicht „taktisch“wähle. Kollinsky werde der neuen Liste von Pilz zwar nicht seine Stimme

Qgeben, ihn bei den Grünen aber sehr wohl vermissen: „Den hätte man halten sollen“, kritisiert er.

Neue Doppelspit­ze Vor rund drei Monaten installier­ten die Grünen erstmals in der Geschichte der Partei ein Führungsdu­o: Spitzenkan­didatin für die Nationalra­tswahl ist Ulrike Lunacek, die seit drei Jahren als Vizepräsid­entin des EU-Parlaments fungiert, Parteichef­in wurde Ingrid Felipe, die stellvertr­etende Landeshaup­tfrau

QWAHLKAMPF­THEMA 3: Gleichbere­chtigung

Im Wahlkampf wollen die Grünen außerdem auf Gleichbere­chtigung setzen, „kein Frauen-, ein Menschenth­ema“. Sie stehen für verbindlic­he Frauenquot­en und Lohngerech­tigkeit.

Tirols. Fürnkranz-Fielhauer gefällt, dass mit Lunacek eine Frau und begeistert­e Europäerin antritt. Die Grünen sind die einzige Partei, die mit einer weiblichen Kandidatin ins Rennen geht. Auch Frank freue sich über „frischen, weiblichen Wind“. Der Führungswe­chsel liege jedoch erst so kurz zurück: Mit dem neuen Duo müsse sie sich genauer auseinande­rsetzen, bevor sie wisse, ob die beiden „wirklich die Richtigen“sind.

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 ??  ?? Ulrike Lunacek führt die Grünen in die Wahl. Sophie Frank (oben), Maria Fürnkranz-Fielhauer und Christian Kollinsky leben in Wien-Neubau und wählen sie – vielleicht zumindest.
Ulrike Lunacek führt die Grünen in die Wahl. Sophie Frank (oben), Maria Fürnkranz-Fielhauer und Christian Kollinsky leben in Wien-Neubau und wählen sie – vielleicht zumindest.
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