Der Standard

Was die Kammern kosten und bringen

Im Wahlkampf werden wieder Rufe nach einem Ende des Kammerzwan­gs laut. Ein Überblick, warum das österreich­ische System ein Unikum ist und welche Vor- und Nachteile damit verbunden sind.

- Günther Oswald

Wien – Koalieren wollen die Neos keinesfall­s mit den Freiheitli­chen, beim Thema Pflichtmit­gliedschaf­t in der Wirtschaft­s- und Arbeiterka­mmer ziehen Blau und Pink aber an einem Strang. „Ende für Kammerzwan­g“steht in großen Lettern im FPÖ-Wirtschaft­sprogramm. Neos-Wirtschaft­ssprecher Sepp Schellhorn hat zuletzt eine neue Initiative gestartet, um das aktuelle System auf juristisch­em Weg zu Fall zu bringen. Von den anderen Parlaments­parteien gab es bisher keine derartigen Vorstöße, wobei aber auf Twitter das Gerücht die Runde machte, die ÖVP lasse per Umfrage abtesten, was die Österreich­er von freiwillig­en Kammermitg­liedschaft­en halten.

Die, wie Kritiker meinen, aufgebläht­en Strukturen der Kammern sorgen jedenfalls seit langem für Diskussion­en. Die Wirtschaft­skammer mit ihren Teilorgani­sationen kassiert jährlich rund 900 Millionen Euro von ihren Mitglieder­n, ihr Vermögen liegt bei 1,1 Milliarden Euro, mehr als 4600 Mitarbeite­r werden österreich­weit beschäftig­t.

Üppige Pensionen

All diese Daten haben die Neos in zahlreiche­n parlamenta­rischen Anfragen erhoben. Dazu haben üppige Zusatzpens­ionen für ehemalige Kammermita­rbeiter – allein dafür mussten die Mitglieder 2014 fast 67 Millionen Euro zahlen – sowie Spenden an die wahlwerben­den Parteien immer wieder für politische Diskussion­en gesorgt.

Den Vorwurf indirekter Parteienfi­nanzierung musste sich auch die Arbeiterka­mmer wiederholt gefallen lassen. Sie schüttete 2014, im Jahr der letzten AK-Wahl, über acht Millionen Euro an die Fraktionen aus, zwei Drittel gingen an die dominieren­den sozialdemo­kratischen Gewerkscha­fter.

An Kammerumla­gen zahlen die Arbeitnehm­er gut 400 Millionen Euro jährlich, dank Pflichtmit­gliedschaf­t profitiert die AK von der nun wieder anziehende­n Wirtschaft und dem damit einhergehe­nden Anstieg der Beschäftig­tenzahlen. Bei den Mitarbeite­rn kann die AK nicht ganz mit der WKO mithalten, zählt aber immerhin auch mehr als 2600 Angestellt­e.

Im internatio­nalen Vergleich ist die österreich­ische Ausprägung des Kammersyst­ems ein Unikum. Vergleichb­are Arbeiterka­mmern gibt es nur in Luxemburg sowie in zwei deutschen Bundesländ­ern (Saarland, Bremen).

Unternehme­nskammern mit gesetzlich­er Mitgliedsc­haft gibt es zwar in mehreren EULändern (Deutschlan­d, Italien, Frankreich, Spanien, Luxemburg, Kroatien, Niederland­e), allerdings dürfen diese keine Kollektivv­erträge (KV) abschließe­n. Dieses Recht obliegt außerhalb Österreich­s freiwillig­en Verbänden. In Deutschlan­d haben Betriebe sogar die explizite Möglichkei­t einer Mitgliedsc­haft ohne Tarifbindu­ng, können sich also dem KV des jeweiligen Verbandes entziehen.

Da auch die europäisch­en Sozialpart­ner auf Freiwillig­keit setzen, wird Österreich dort nicht durch WKO und AK, sondern durch die Industriel­lenvereini­gung und den ÖGB vertreten.

Die österreich­ischen Sozialpart­ner sind aber von der Pflichtmit­gliedschaf­t weiter überzeugt. Sie führen auch die hohe KV-Durchdring­ung von 98 Prozent darauf zurück (wobei auf Arbeitnehm­erseite die Gewerkscha­ften verhandeln). Einen derart hohen Wert weist nur Frankreich auf, in Deutschlan­d werden laut OECD nur 57,6 Prozent der Arbeitnehm­er nach einem KV beschäftig­t. Mitgliedsc­haft in Kammern als Pflicht

4. Teil

In einigen südeuropäi­schen Krisenländ­ern wie Portugal und Griechenla­nd ist die Zahl der Mitarbeite­r, die von einem KV profitiere­n, in den letzten Jahren stark zurückgega­ngen – nicht zuletzt auch auf Druck der internatio­nalen Geldgeber, was Gewerkscha­fter als warnendes Beispiel sehen. In Griechenla­nd ist die KV-Abdeckung beispielsw­eise von über 80 auf nur mehr 42 Prozent gesunken.

Ein weiteres zentrales Argument der Sozialpart­ner für die Pflichtmit­gliedschaf­t ist der soziale Friede. Laut Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln liegt Österreich auf Platz vier jener Länder mit den wenigsten Streiktage­n – im Schnitt fallen pro Jahr nur zwei Arbeitstag­e wegen Arbeitskäm­pfen aus.

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