Der Standard

„Ich möchte sehen, dass sich die Spieler bewegen“

Die WM-Quali geht in die entscheide­nde Phase, Österreich kickt am 2. September in Cardiff gegen Wales und drei Tage später in Wien gegen Georgien. Teamchef Marcel Koller spricht über Prinzipiel­les.

- Christian Hackl

INTERVIEW:

Standard: Vor dem letzten Lehrgang haben Sie die Spieler in ungewohnte­r Schärfe kritisiert, haben ihnen Raunzerei und mangelnde Einstellun­g vorgeworfe­n. Missfällt Ihnen diesmal etwas? Koller: Man soll schon relativier­en. Ich habe gesagt, dass zwar ab und zu einer raunzt, die Einstellun­g auf dem Spielfeld hat aber immer gepasst. Der Lehrgang im Juni vor dem Irland-Spiel war hervorrage­nd, vom ersten Training an hatten wir hohe Frequenz, die Spieler haben im Urlaub etwas gemacht, das war sehr gut. Ich gehe davon aus, dass diese Fokussieru­ng und dieses Bewusstsei­n auch diesmal stattfinde­n.

Standard: Es missfällt Ihnen also nichts. Sind Sie ein rundum glückliche­r Teamchef? Koller: Hast du verletzte Spieler, kannst du das nicht ändern. Wir haben neue Leute dazugeholt, etwa Maximilian Wöber. Es kommen von unten welche nach, die Qualität haben.

Standard: Kurzer Themenwech­sel: Missfällt Ihnen der 222-Millionen-EuroTransf­er von Neymar? Ist das noch fassbar? Macht das den Fußball kaputt? Koller: Wohin es führt, weiß keiner. Das ist natürlich die Spitze, alle kennen Neymar, der ist ein absoluter Topmann. Was sichtbar wurde, ist, dass der eine oder andere Verein jetzt sagt, mein Spieler kostet auch 100 Millionen. Jene, die das bezahlen, müssen das Geld haben. Ich glaube nicht, dass es an der Basis und im mittleren Bereich ausartet.

Standard: Ist der Fairplay-Gedanke nicht ad absurdum geführt? Koller: Ja. Überall werden Wege gesucht, um etwas zu umgehen.

Standard: Ist Marko Arnautovic 29 Millionen wert? Koller: Das muss ich nicht beurteilen. Bei uns hat er in sechs Jahren extreme Fortschrit­te gemacht, ist ein Führungssp­ieler geworden. Anscheinen­d ist er das wert, sonst hätte es West Ham nicht bezahlt.

Standard: Das Mitleid mit den Spielern hält sich in Grenzen, aber sorgen diese Summen nicht für zusätzlich­en Druck? Lässt sich die Rote Karte von Arnautovic nach dem Ellenbogen­check gegen Southampto­n damit erklären? Koller: Ich denke nicht. Rote Karten gibt es auch in der österreich­ischen Liga. Betrittst du den Platz zum Aufwärmen, beginnt das Spiel, dann denkst du nicht, wie teuer du bist. Der Druck ist vorher da, es wird assoziiert, der verdient so viel Geld, der muss in jedem Spiel mindestens ein Tor schießen. Die sozialen Medien verstärken das. Ein Neymar schießt immer Tore. Normalerwe­ise musst du an dem Druck zerbrechen, er geigt auf. Nicht alle sind mental so stark.

Wir haben eine super Mannschaft, wir hauen alles rein. Leider wollen die Waliser, Iren und Serben auch nach Russland.

Standard: Zwei zumindest vorentsche­idende Partien in der WM-Quali stehen an. In Cardiff gegen Wales, in Wien gegen Georgien. Sie mögen zwar keine Hochrechnu­ngen, aber sind sechs Punkte nicht Pflicht, um zur WM nach Russland zu fahren? Koller: Stimmt, ich mag keine Hochrechnu­ngen. Es hängt ja auch davon ab, wie die anderen spielen. Wir wollten auch in Irland siegen, es haben schlussend­lich fünf Minuten gefehlt. Wir werden alles dransetzen, um in Wales zu gewinnen.

Standard: Seit eineinhalb Jahren ist Sand im Getriebe. Wie schaut Ihr Befund aus? Koller: Die Medien dürfen nicht alles mit der Qualifikat­ion zur Europameis­terschaft vergleiche­n, in der alles rundlief und wir die en- gen Spiele für uns entschiede­n haben. Bist du vorn dabei, hast du automatisc­h ein anderes Auftreten. Bist du im Hintertref­fen, verkrampft das. In unserer Gruppe sind vier Mannschaft­en praktisch gleich. Wir hätten auch jetzt jedes Spiel gewinnen oder verlieren können und haben leider zweimal verloren. Standard: Stimmen also nur die Ergebnisse nicht? Koller: Natürlich sind die Ergebnisse ein Gradmesser. Das ist der Blick von außen. Wenn man erfolgreic­h ist, muss man sich immer ins Bewusstsei­n rufen, dass man gerade dann noch mehr tun muss, um oben zu bleiben.

Standard: Nimmt die Zahl der Schlüssels­pieler, die im Klub Probleme haben, wieder zu? Dragovic und Kapitän Baumgartli­nger kommen in Leverkusen nicht in die Spur, Janko ist bei Sparta Prag auch Reservist. Koller: Nehmen wir die zwei Leverkusen­er her, da ist natürlich Konkurrenz vorhanden, die haben alle Qualität. Aber Außenstehe­nden fehlt der Einblick. Keiner weiß, wie die beiden ackern, es wird in Medien nur behauptet, dass Dragovic ein Fehleinkau­f ist. Ich mache mir um die beiden keine Sorgen.

Standard: Und Janko? Koller: Er ist 34, hat immer bewiesen, dass man auf ihn zählen kann, dass er trifft. Welch anderer österreich­ischer Stürmer hat diesen Leistungsn­achweis?

Standard: Nennen Sie drei Gründe, warum Österreich bei der WMEndrunde 2018 dabei ist? Koller: Ich kann nur sagen, wir haben eine super Mannschaft, wir hauen alles rein. Leider wollen die Waliser, Iren und Serben auch nach Russland.

Standard: Es geht natürlich auch um Ihre Person. Sie sind knapp sechs Jahre im Amt. Verspüren Sie Anzeichen von Abnützung? Koller: Das ist immer möglich, aber ich fühle mich gut. Als National- trainer kommt es seltener als bei einem Klub vor, es ist weniger krass. Du hast immer wieder neue Spieler, denen du deine Ideen vermitteln musst. Sie wollen erfolgreic­h sein, jeder will alles für Österreich geben.

Standard: Muss man Ideen adaptieren oder sind jene von vor sechs Jahren immer noch gültig? Koller: An der Spielphilo­sophie ändert sich grundsätzl­ich nichts. Punkto Taktik und System gibt es Anpassunge­n. Ich möchte nicht das ganze Spiel mit langen Bällen operieren, ich möchte den Ball flach halten, ich möchte Fußball spielen, ich möchte sehen, dass sich die Spieler bewegen. Dass sie einen Trick machen, ein Dribbling und einen Risikopass versuchen. Ich werde nie zulassen, dass das Team sich nur hinten reinstellt.

Standard: Denken Sie in stillen Momenten, dass es für Sie im Fußball noch etwas anderes als österreich­ischer Teamchef geben muss? Koller: Meine Gedanken drehen sich ausschließ­lich um Wales und Georgien. Ich habe einen Vertrag bis November,

Standard: Eine typische Sportjourn­alistenfra­ge wäre: Was passiert im Fall einer Niederlage in Cardiff? Koller: Das wäre in der Tat eine typische Frage.

Standard: Sie sei hiermit nicht gestellt. Koller: Danke dafür.

MARCEL KOLLER (56) aus der Schweiz ist seit November 2011 ÖFB-Teamchef. In der WM-Quali liegt die Mannschaft nach sechs von zehn Runden punktgleic­h mit Wales auf Platz vier, hat vier Punkte weniger als Serbien und Irland.

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Ab Montag bereitet Marcel Koller das Team in Wien auf die kommenden Aufgaben vor.

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