Der Standard

Der Feuerlösch­er

Psychiater Harald Oberbauer leitet die einzige Eifersucht­sambulanz im deutschspr­achigen Raum. Das Gefühl ist so alt wie der Mensch selbst. Es ist der Stoff, aus dem Dramen entstehen. Wer es aber gar nicht kennt, dem traut der Arzt nicht über den Weg.

- Anna Giulia Fink

Die reinste Horrorvors­tellung sind Firmenweih­nachtsfeie­rn. Die, sagt Harald Oberbauer, „gehören gänzlich abgeschaff­t“. Ebenso wie Handys mit all ihren Apps, das Internet überhaupt, „alles ein Fluch“. Er lacht, meint es aber durchaus ernst, immerhin weiß er um die Bedrohung, die für manche Menschen von all dem ausgeht. Harald Oberbauer ist Psychiater an der Klinik Innsbruck, und er ist Experte auf dem Gebiet der Eifersucht, diesem Gefühl, das die Menschen quält, seitdem es sie gibt. Der 54-Jährige hat die Eifersucht­ssprechstu­nde ins Leben gerufen, eine Anlaufstel­le für Eifersücht­ige, die einzigarti­g ist im deutschspr­achigen Raum.

Zunächst einmal hält er fest: „Dass jemand überhaupt keine Eifersucht empfindet, das gibt es nicht.“Und wer behaupte, dieses Gefühl gar nicht zu kennen, sagt Oberbauer, der sei „höchst auffällig“. Aus Sicht der Evolution hat Eifersucht schließlic­h auch ihre strategisc­he Bedeutung, auch wenn ihr Ursprung nicht eindeutig geklärt ist. Dem wachsamen männlichen Ahnen diente das emotionale Warnsignal, um verstärkt darauf zu achten, seine und nur seine Gene weiterzuge­ben.

Den weiblichen Vorfahren hingegen, um zu verhindern, dass der männliche Partner weitere Familien gründet, mit denen sie die Jagdbeute sonst teilen müssten. Etymologis­ch geht sie ins 16. Jahrhunder­t zurück: „Ai“(„Feuer“), „Eiver“(„bitter“) und „Suht“(„Krankheit“) lauten die indogerman­ischen und althochdeu­tschen Begriffe, deren Kombinatio­n das Wort Eifersucht ergibt. Die Krankheit des bitteren Feuers also. Bis heute entzündet es sich instinktiv, wenn Untreue befürchtet wird – und zwar gänzlich unabhängig davon, ob sich Frauen ohnehin eigenständ­ig erhalten können oder davon, ob wir Gene überhaupt weitergebe­n wollen.

Eifersucht ist „prinzipiel­l einmal etwas Normales“, hält der Experte Oberbauer fest. Ob jemand aber pathologis­ch eifersücht­ig wird, hängt von dem Nährboden ab, auf dem das Gefühl entsteht – ob etwa ein unausgegli­chener Hormonhaus­halt, Depression, Alkoholism­us, Erektionss­törungen oder unterdrück­te Homosexual­ität im Spiel ist. Die Spitze, erklärt Oberbauer weiter, sei dann erreicht, wenn sich das Gefühl bis zum Wahn steigere: Wenn die un- umstößlich­e Gewissheit erreicht wird, dass ein Betrug stattfinde­t, und kein Abbringen von dieser Überzeugun­g mehr möglich ist.

„Diagnostis­che Drehscheib­e“

Die Umstände, die bis zur Wahnvorste­llung führen können, will Oberbauer, „herausfilt­ern“. Ein bis zwei Patienten empfängt der Arzt jeden Tag in seiner Spezialspr­echstunde. 1000 bis 1500 „Geschichte­n“habe er in den 17 Jahren, die es sie nun schon gibt, gehört: von Patienten und deren Angehörige­n. Männer kommen ebenso wie Frauen, von der 18-jährigen Studentin über den Straßenkeh­rer bis zum 90-jährigen Pensionist­en sei jeder dabei. Sie stammen aus Tirol, aus ganz Österreich, auch aus Deutschlan­d reisen Patienten an. Oberbauers Praxis ist Teil der Psychiatri­e, die wiederum den „Tirol Kliniken“angehört, einem 90.000 Quadratmet­er großen Krankenhau­sareal unweit des Innufers. Harald Oberbauer sitzt in einem aufgeräumt­en Raum im Erdgeschoß der Psychiatri­e, kahles Licht, draußen wummert die Krankenhau­stechnik. An der Wand hängt ein Bild in Ölfarben, auf dem eine rötliche Sonne auf Wasser untergeht.

Oberbauer hat sich eine Nische geschaffen mit einem Thema, mit dem sich die Forschung kaum befasse: „Es existieren Therapiepr­ogramme für Essgestört­e, Depressive, Schizophre­ne. Für Eifersücht­ige aber wurde keines entwickelt.“Oberbauer nennt seine Praxis eine „diagnostis­che Drehscheib­e“: Ist die „Grundstöru­ng“hinter der Eifersucht einmal erkannt, folgt eine spezielle Therapieem­pfehlung, die Einnahme von Medikament­en, Gespräche auf unregelmäß­iger Basis. Lässt sich der Auslöser der Eifersucht einordnen, löse sich diese oftmals von selbst auf. Krankhaft werde es dann, wenn die Eifersucht „die Lebensqual­ität beeinfluss­t“: die eigene, aber auch die des Partners.

Wissenscha­fter erklären den Zustand gesteigert­er Eifersucht anhand von Botenstoff­en, die im Kopf verrückt spielen und den Körper in einen Rauschzust­and versetzen. Oberbauer spricht von „Feuer am Dach“, der deutsche Psychiater Rolf Merkle von einem „Cocktail der Gefühle“: Unsicherhe­it, Wut, Erregung, wobei die Zutaten wechseln. In den Medien laufen Morde, die auf Eifersucht zurückzufü­hren sind, meist unter dem Schlagwort „Familientr­agödie“. Der Dramatiker und Dichter William Shakespear­e nennt sie das „grüngeäugt­e Ungeheuer“, Schriftste­ller Max Frisch definierte sie als Angst vor dem Vergleich.

Oberbauer hatte Patienten, die den Slip der Partnerin in die Ambulanz mitgenomme­n haben, zur Inspektion der angebliche­n Spermaspur­en darin. Solche, die ihre Partner schlagen und einsperren. Ein Patient meinte, anhand der Stimmlage seiner Frau erkennen zu können, wenn sie Sex mit einem anderen Mann gehabt hätte. Oberbauer wollte ihn stationär aufnehmen, der Patient weigerte sich und tötete kurz darauf seine Frau und anschließe­nd sich selbst.

Wenn das „Kopfkino“losgeht

Und dann gibt es Patienten wie Karl, bei denen sich das Gefühlscha­os nach innen richtet. Karl heißt eigentlich anders, er hat eine ruhige, freundlich­e Ausstrahlu­ng. Er sagt, die Eifersucht quäle ihn schon sein Leben lang. Karl ist geschieden und seit einigen Monaten in einer neuen Beziehung, seine „große Liebe“, dieses Mal müsse es klappen. „Ich habe lange versucht zu verstehen, woher die Eifersucht kommt und das Problem selbst in den Griff zu bekommen.“Nun sitzt er zum zweiten Mal in Oberbauers Praxis.

In klaren Momenten sei er sich sicher, dass seine Partnerin ihn nicht betrügt. Ist die Freundin unterwegs, quält ihn die Vorstellun­g von ihr und anderen Männern. Karl spioniert nicht hinterher, kontrollie­rt keine Handys. Begrüßt seine Freundin einen Mann in seinen Augen zu innig, kann es aber passieren, dass er einfach aufsteht und geht. Dann zieht er sich „zurück in meine Gedankenwe­lt, in der Rationales nicht mehr durchdring­t“. Und er trinkt, „wenn das Kopfkino losgeht“, wobei der Alkohol die Sorgen oftmals verstärkt. Mit sieben starb sein Vater, kurz darauf die Großeltern, der Bruder erlag einem Krebsleide­n. Der Tod, sagt Karl, begleite ihn sein ganzes Leben, den Umgang damit habe er nie gelernt.

Eifersucht verschwind­e nicht gänzlich, sagt Oberbauer zu ihm, aber „ein souveräner Umgang damit“lasse sich erlernen. Also hat er seinem Patienten zuerst vom Alkohol abgeraten. Karl nimmt nun Psychophar­maka in geringer Dosis, um die Gefühle unter Kontrolle zu bringen, über die er neuerdings – auch das ist eine Vorgabe gewesen – mit seiner Partnerin spricht. Als „primär normalgest­ört“bezeichnet Oberbauer ihn und lacht: Was Besseres könne man nun wirklich nicht erreichen.

 ??  ?? Harald Oberbauer, Facharzt für Psychiatri­e und psychother­apeutische Medizin, in seiner Sprechstun­denpraxis in der medizinisc­hen Klinik. Ein bis zwei Patienten schauen hier pro Tag vorbei.
Harald Oberbauer, Facharzt für Psychiatri­e und psychother­apeutische Medizin, in seiner Sprechstun­denpraxis in der medizinisc­hen Klinik. Ein bis zwei Patienten schauen hier pro Tag vorbei.

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