Gerüchte über Gravitationswellendurchbruch
Die noch inoffizielle vierte Beobachtung von Gravitationswellen könnte eine weitere Revolution bringen: Ihr Auslöser war womöglich nicht die Kollision zweier Schwarzer Löcher, sondern die zweier Neutronensterne.
London/Wien – Noch ist alles inoffiziell, und die beteiligten Experten hüllen sich seit Tagen in Schweigen. Doch hinter den Kulissen hat längst ein heißes Gerücht die Runde gemacht, das auch schon vom Wissenschaftsmagazin Nature detailreich ausgeplaudert wurde. Und wenn es stimmt, dann könnte die Beobachtung den Beginn einer neuen Ära der Astrophysik markieren.
Was ist geschehen? Blenden wir kurz zurück: Am 11. Februar 2016 verkündeten Physiker eine Sensation: Sie hatten Monate zuvor in den USA mit zwei tausende Kilometer voneinander entfernten Geräten des Ligo (Laser Interferometer Gravitationswellen-Observatorium) minimale Wellen der Raumzeit aufgespürt.
Zwar wurden solche Gravitationswellen bereits 1916 vorausgesagt. Doch sind sie so gering, dass es fast hundert Jahre brauchte, ehe man sie mit entsprechend hochempfindlichen Detektoren dingfest machen konnte.
Verursacht werden solche Wellen in der Raumzeit durch die Kollision von extrem kompakten massereichen Objekten wie zwei Schwarzen Löchern, die beim Verschmelzen Gravitationswellen abgeben. Das war auch die Ursache bei der ersten Beobachtung und den beiden folgenden.
Die vierte Ligo-Beobachtung ...
Kürzlich wurden von Ligo zum vierten Mal Gravitationswellen registriert. Diesmal dürften sie aber, so die heiß diskutierten Gerüchte, nicht von der Kollision zweiter Schwarzer Löcher herrühren, sondern durch die Fusion von zwei ähnlich kompakten Neutronen- sternen erzeugt worden sein. Das sind die Überbleibsel von großen Sternen, die explodierten, aber nicht groß genug waren, um in ein Schwarzes Loch zusammenzustürzen.
Das Besondere daran: Während man die Kollision von Schwarzen Löchern nur mittels Ligo wahrnehmen kann und sich deshalb auch schwertut, den Ort der Kollision zu bestimmen, kann die Fusion von Neutronensternen theoretisch auch von herkömmlichen Teleskopen beobachtet werden. Denn dabei entstehen nicht nur Gravitationswellen, sondern zumindest laut neueren Theorien auch Gammablitze, also Energie- ausbrüche hoher Leistung, von denen große Mengen elektromagnetischer Strahlung ausgehen.
Genährt wurde das Neutronensterngerücht durch Tweets, die zwei US-Physiker am 18. August absetzten. Die Kurznachricht von J. Craig Wheeler (Universität Texas in Austin) lautete aufgeregt: „New LIGO. Source with optical counterpart. Blow your sox off!“Ein weiterer Tweet seines Kollegen Peter Yoachim ging in die gleiche Richtung. Mittlerweile hat sich Wheeler für seinen voreiligen Enthusiasmus zwar entschuldigt. Aber die Neuigkeit war in der Welt, und die Gerüchte verdichten sich seitdem.
Darauf deutet hin, dass mehrere Teleskope wie Hubble, das Fermi Gamma-ray Space Telescope oder das Very Large Telescope in Chile am 18. und 19. August auf die 130 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie NGC 4993 im Sternbild Hydra gerichtet wurden, wo sich die Neuronensternkollision ereignet haben könnte. Und es gibt konkrete Hinweise, dass man mit den Teleskopen gezielt nach den Nachwirkungen einer Neutronensternkollision suchte – also den vorhergesagten Gammablitzen.
... und ihre ideale Ergänzung
Sollte sich die Vermutung bestätigen, wäre das „ein unglaublicher Fortschritt unserer Erkenntnis“, wie der Astrophysiker Stuart Shapiro in Nature sagt. Denn die Beobachtungen durch Ligo und die Teleskope könnten einander in idealer Weise ergänzen.
Laut Theorie müssten die Gravitationswellen bei einer Kollision zweier Neutronensterne eine andere Signatur haben als bei Schwarzen Löchern. Ließe sich durch Teleskope bestätigen, dass es praktisch zeitgleich zu Gammablitzen kam, wäre die Theorie bestätigt, dass diese auf Neutronensternkollisionen zurückgehen.
Die Datensammlung von Ligo wurde offiziell am Freitag abgeschlossen. Danach wolle man nur Dinge bekanntgeben, die gut abgesichert sind. Sollten sich die Gerüchte freilich bewahrheiten, dann wäre das gewiss ein weiterer guter Grund, den Physiknobelpreis 2017 für die Entdeckung der Gravitationswellen zu verleihen.