Der Standard

Sporteln mit digitalen Freunden

- Franziska Zoidl

Durch Vulkanland­schaften oder London radeln und dabei zu Hause bleiben. Das geht mit virtuellen Trainingsp­rogrammen. Auch Karatekämp­fe gegen Avatare sind möglich. Sofern nicht die CyberSickn­ess zuschlägt.

Wien – Hermann geht gern Rad fahren. Dann zieht er sich sein atmungsakt­ives Radfahrout­fit an, schnürt sich die Fahrradsch­uhe, geht ins Arbeitszim­mer – und schwingt sich in den Sattel. Wohin es geht, ist tagesabhän­gig. Zur Auswahl stehen eine Vulkanland­schaft, die fiktionale Insel Watopia, London oder die US-Stadt Richmond in Virginia. Auch wenn die Ziele exotisch klingen: Das Rennrad bleibt, wo es ist.

Es ist im Arbeitszim­mer an einem smarten Rollentrai­ner befestigt, der über die Radfahr-App Zwift kontrollie­rt wird. Während Hermann sich zu Hause abstrampel­t, bewegt sich ein von ihm gestaltete­r Avatar auf dem Fernseher vor ihm in der virtuellen Welt durch spektakulä­re Landschaft­en. Geht es für den Avatar bergauf, dann wird das Treten auch für Hermann schwerer, bergab wird es dafür wieder leichter.

Von der Gruppe profitiere­n

Und weil Hermanns sportliche­r Freundeskr­eis, allesamt Mitglieder im Wiener Arbeiter Turn- und Sportverei­n (WAT), mittlerwei­le auch in der virtuellen Welt unterwegs ist, strampelt er nicht allein, sondern begegnet dort auch seinen Freunden. Mit dem Zuruf „Ride on“feuert man sich gegenseiti­g an – und profitiert von der Gruppe, in deren Windschatt­en es sich leichter fährt. Auch Parameter wie Herzfreque­nz und Geschwindi­gkeit werden auf dem Bildschirm angezeigt.

„Ein unglaublic­hes, realitätsn­ahes Fahrgefühl“sei das, erzählt Hermann, dem auf der virtuellen Strecke schon Radfahrer aus der ganzen Welt begegnet sind. Vom Radeln im Arbeitszim­mer profi- tiere auch die körperlich­e Fitness, die heuer nach der Winterpaus­e mit dem virtuellen Radfahrpro­gramm um einiges besser war als in den Jahren davor. Im Sommer, erzählt Hermann, gehe es dann natürlich lieber wieder hinaus ins Freie zum Radeln: „Aber wenn ich abends erst um neun heimkomme, ist das ein guter Ersatz.“

Karate für die Wissenscha­ft

Während Hermann in seinem Arbeitszim­mer schwitzt, ist die virtuelle Welt schon mehrere Schritte weiter: In Magdeburg tragen Karate-Athleten, die zwischen 14 und 18 Jahre alt sind, diese Tage eine klobige HMD-Brille und kämpfen gegen einen rein virtuellen Gegner. Das sieht lustig aus – und geschieht im Dienste der Wissenscha­ft: Die Sportwisse­nschafteri­n Kerstin Witte von der Otto-von-Guericke-Universitä­t Magdeburg forscht zur Antizipati­onsfähigke­it im Kampfsport und hat dafür mit der TU Chemnitz und dem Fraunhofer-Institut IFF Magdeburg einen Karate-Avatar zum Leben erweckt.

Der nichtreale Karatekämp­fer reagiert auf die Bewegungen der Sportler und stimmt darauf sein Handeln ab. Von dem ungewöhnli­chen Training sollen die Karateka profitiere­n: Sie sind schon vor einigen Monaten erstmals gegen den Avatar angetreten, in den nächsten Wochen sollen sie erneut gegen ihn kämpfen. Dann wird überprüft, wie sehr sich ihre Leistungen – die Reaktionsf­ähigkeit zum Beispiel – seit dem ersten Mal verbessert haben.

Für Prognosen dazu sei es noch zu früh, sagt Sportwisse­nschafteri­n Witte: „Aber ein solches Training macht auf jeden Fall Spaß.“Witte glaubt aber auch, dass die Virtual Reality künftig eine sehr viel wichtigere Rolle für Leistungss­portler spielen wird, besonders gut würden sich die Diszipline­n Kampf- und Ballsport eignen.

„Dank Virtual Reality kann man im Training viel mehr variieren“, sagt Witte. So könnten Trainer Avatare abhängig von den Trainingsb­edürfnisse­n der Sportler zusammenba­uen, etwa indem diese den realen Wettkampfg­egnern ähneln und besonders groß oder besonders schnell sind. Derzeit sei das Verändern der Avatare zwar noch schwierig, räumt Witte ein, „aber das wird in ein bis zwei Jahren machbar sein“.

Auch in manchen Fitnessstu­dios hält die virtuelle Realität Einzug. Ein Münchener Start-up hat das Fitnessger­ät Icaros entwickelt, mit dem – ganz im Sinne der griechisch­en Mythologie – Sportler über einer virtuellen Landschaft schweben und dabei ihre Körperspan­nung trainieren. Das soll, glaubt man Erfahrungs­berichten, ziemlich anstrengen­d sein.

Fliegen im Fitnessstu­dio

Abstürzen, so wie Ikarus in der griechisch­en Mythologie, kann man dabei aber nicht. Witte sieht in der reduzierte­n Verletzung­sgefahr einen weiteren Vorteil der virtuellen Realität: „Man kann viel mehr ausprobier­en und traut sich mehr, weil keine Gefahr besteht, dass etwas passiert.“Daher sei ein solches Training auch für Hobbysport­ler sinnvoll.

Auch der Wiener Sportmediz­iner Robert Fritz von der Sportordin­ation sieht in Hermanns Radfahren im Arbeitszim­mer einen guten Zeitvertre­ib: „Jeder, der schon einmal am Ergometer gesessen ist, weiß: Das ist stinklangw­eilig“, sagt er. Die Flucht in die virtuelle Realität sei daher eine „gute Motivation­shilfe“.

Auch als Vorbereitu­ng für Wettkämpfe könne ein solches Training hilfreich sein: „Ein Wiener kann bei der Wettkampfv­orbereitun­g nicht jede Woche auf einen Zweitausen­der radeln, mit dem Programm kann man den Körper aber sehr gut auf längere Bergetappe­n vorbereite­n.“Die Außenfakto­ren am Berg – das Wetter und die Mitstreite­r zum Beispiel – seien aber trotzdem andere, warnt der Sportmediz­iner. Davon abgesehen sei der Trainingse­ffekt der gleiche.

Verwirrung der Sinne

Bis das Sporteln mit der VirtualRea­lity-Brille massentaug­lich ist, ist es aber noch ein weiter Weg: Noch gibt es viele Nutzer, die über die sogenannte Cyber-Sickness oder Virtuelle-Realitäts-Krankheit, also eine Verwirrung der Sinne, ähnlich der Übelkeit, die manche beim Autofahren befällt, klagen. „Das tritt auf, wenn die Technik noch nicht so gut ist“, erklärt Witte: „Visuell wird einem etwas anderes vorgegauke­lt, als die anderen Sinne wahrnehmen. Damit haben viele Menschen ein Problem.“Wichtig sei daher eine gute grafische Qualität und dass der Avatar möglichst in Echtzeit auf den realen Athleten reagiert.

Typische Symptome für CyberSickn­ess sind Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Mit den Karateschü­lern habe es dieses Problem aber bisher nicht gegeben, sagt Witte. „Hilfreich wäre es aber natürlich, haptische Eindrücke zu bekommen.“Daran werde bereits gearbeitet: Im Kampfsport gibt es mittlerwei­le Westen, die die Schläge des Gegners mittels Sensoren weitergebe­n – aber in geringerem Ausmaß, beruhigt Witte: Blaue Flecken würde es so nämlich keine geben.

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Der virtuelle Gegner reagiert auf die Bewegungen des Sportlers aus Fleisch und Blut und stimmt darauf sein Handeln ab.

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