Der Standard

Saisonverl­ängerung am nördlichen Gardasee

Dort, wo einst die österreich­isch-italienisc­he Front im Ersten Weltkrieg verlief, kann man heute auf leichten Kletterste­igen spät im Jahr die Sonne genießen.

- Thomas Neuhold

Jeden Herbst dasselbe: „Wir sind übers Wochenende am Gardasee.“Was in der Klettersze­ne so viel bedeutet wie: Wir sind in Arco – dem Klettermek­ka wenige Kilometer vom nördlichen Ende des Lago di Garda entfernt. Wenn es im Oktober und November hierzuland­e nass und kalt geworden ist, lässt es sich an den sonnenbesc­hienenen Felsen des Trentino noch fein in den oberen Schwierigk­eitsgraden herumkraxe­ln und anschließe­nd einen Espresso im Straßencaf­é schlürfen.

Was sich für die Meister der Vertikalen gut anfühlt, gilt selbstrede­nd auch fürs gemeine Fußvolk: Im Herbst an den Gardasee, das ist Saisonverl­ängerung pur.

Am besten kommt man übrigens ein paar Tage nach dem 3. Oktober: Rund um den Tag der Deutschen Einheit geht es nämlich am Gardasee noch zu wie in einem Vorort von München. Nach dem deutschen Nationalfe­iertag kehrt dann Ruhe ein. Neben den Wanderern und Mountainbi­kern kommen vor allem die Fans leichter bis mittelschw­erer Kletterste­ige voll auf ihre Kosten.

Das nordwestli­che Ende des Sees wird vom mächtigen Rocchettam­assiv begrenzt. Der Höhenunter­schied zum See ist gewaltig: Der Lago liegt auf 65 Meter, der höchste Punkt im Rocchettas­tock ziemlich genau 1500 Meter höher. Die Schatten der Berge sind entspreche­nd, und so kommt es, dass der Hauptort Riva recht bald am Nachmittag ohne Sonne dasteht. Wer also die Herbstsonn­e sucht, wird das im Nordosten gelegene Torbole bevorzugen. In dem Surferpara­dies geht zwar meist der Wind, aber man hat bis spät am Abend Sonne. Und hier gibt es das La Terrazza – einen auf Gardaseefi­sch spezialisi­erten Slow-Food-Tempel.

Was man sich im Wintergart­en direkt am Seeufer anfuttert, kann man am nächsten Tag wieder am Felsen abarbeiten. Dass man am Gardasee auf einfachen Kletterste­igen unterwegs ist, hat militärisc­he Gründe: In vielen Abschnitte­n folgen die frisch sanierten Steiganlag­en den Kriegsstei­gen aus dem Ersten Weltkrieg. Der Berg ist von einem System aus Schützengr­äben, Laufgräben, Tunnelsyst­emen und Geschützbe­festigunge­n durchzogen.

150 Meter Tunnel

Los geht es vom Parkplatz in Biacesa (418 m) am empfehlens­werten Caffè le Grotte vorbei und über den Senter dei Bech entlang der Südflanke der Cima Capi zum Einstieg des Sentiero Susatti. Schon hier stößt man auf Reste der Kriegsstel­lungen. Dieser leichte Kletterste­ig führt entlang des Südostgrat­es hinauf auf die mit einer Eisenfahne geschmückt­e Cima Capi (909 m). Wer es eilig hat, kann bald hinter dem Gipfel auf den Foletti-Steig abzweigen und gelangt so zur Kapelle S. Giovanni (858 m). Hier wahlweise über den einfachen Wanderweg oder den gesicherte­n Sentiero delle Laste absteigen.

Ergiebiger ist es, hinter der Cima Capi am Kletterste­ig entlang der Ostwand – einfach aber luftig – der Cima Rocca in die Pasumer-Scharte (980 m) zu gehen; weiter entlang der Schützengr­äben hinauf zum Gipfel (1089 m). Man steigt dann kurz retour ab und geht durch das rund 150 Meter lange Tunnelsyst­em unter der Rocca durch.

Der weitere Abstieg ist gesichert (Tunnel) und führt ebenfalls hinunter zur Kapelle.

Anreise: Mit dem Pkw von Riva del Garda durch den Tunnel ins Val di Ledro nach Biacesa (großer Parkplatz). Ausrüstung: Kletterhan­dschuhe, Helm, Kletterste­igset. Stirnlampe obligat! Schwierigk­eiten: Kletterste­ige überwiegen­d B, konditione­ll mäßig fordernd. Trittsiche­rheit und Schwindelf­reiheit obligat. Teilweise ungesicher­t bis in den I. Grad. Für geübte Kinder ab zwölf geeignet. Einkehr: Bar & Caffè le Grotte, am Start und Ziel in Biacesa: www.alma-grotte.it Unterkunft: www.gardasee.com Karte: Kompass Nr. 690, „Alto Garda e Ledro“, Maßstab 1:25.000 Topo: www.bergsteige­n.com Literatur: Eugen und Hildegard Hüsler, „Leichte Kletterste­ige in den Alpen“. 5. Auflage. Bruckmann, München 2015

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Foto: Thomas Neuhold È pericoloso sporgersi: Tiefblick auf den Gardasee von der Cima Rocca.

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