Der Standard

„Tatort“schauen: „Als Gesamtkuns­twerk passt es“

Diensträng­e, Einsatzplä­ne, Handwerk – der „Tatort“ist voller Fehler, sagt der Kriminalbe­amte Michael Mimra. Mit dem schaute er die neue Folge „Virus“mit Adele Neuhauser und Harald Krassnitze­r vorab.

- Doris Priesching

Wien – Oberst Michael Mimra taucht unter. Gleich nach dem Tatort verabschie­det sich der stellvertr­etende Leiter des Landeskrim­inalamtes Wien nach Indonesien. Dort wird er bunte Fische schauen und wahrschein­lich möglichst wenig an zu Hause denken. Nicht, was Sie denken. Der Polizeibea­mte setzt sich nicht ab, weil er genug hat von seinem Job und vom Tatort- Schauen. Michael Mimra macht Urlaub und geht tauchen, weil das seine Leidenscha­ft ist.

Alles andere wäre unrealisti­sch, und genau damit hat die Polizei gerade ein Fass aufgemacht, in einem doppelseit­igen Artikel im einschlägi­gen Fachmagazi­n Öffentlich­e Sicherheit, der die gröbsten Fehler im Tatort aufgeliste­t hat. DER STANDARD berichtete und lud Mimra zum Wahrheitst­est.

Mimra schaut die Folge Virus, sie läuft diesen Sonntag, mit Harald Krassnitze­r und Adele Neuhauser. Buch: Rupert Henning, Regie führte Barbara Eder. Die Geschichte: Im oststeiris­chen Pöllau stirbt ein Asylwerber in einem Steinbruch. Der Tote ist im Ort unbekannt, obwohl es den „Fluchthof“gibt, der von einer hiesigen Familie betrieben wird. Mimra ist einverstan­den: „Mir gefällt, dass der Tatort sozialkrit­ische Themen aufgreift.“

Vorspann und Start

Es geht los. Die Ermittler Moritz Eisner und Bibi Fellner raufen im Ring und stellen sich ziemlich patschert an – Fitnesstes­t: „Geht durch“, sagt Mimra. „Die Polizisten heute müssen das in ihrem Dienstvert­rag unterschre­iben.“Eisner und Fellner fallen mit Bomben und Granaten durch. Michael Mimra stört anderes, nämlich die Dienstgrad­e: Mimra ist Offizier wie Harald Krassnitze­r, er selbst führt aber niemals Ermittlung­en durch: „Der Offizier ist der Manager, der koordinier­t. Auf die Piste gehen Chefinspek­toren und Bezirksins­pektoren“, sagt Mimra.

Im Film passiert der Mord, Eisner und Fellner machen sich auf den Weg ins oststeiris­che Pöllau. Schwerer Fehler, merkt Mimra an: „Wenn eine Leiche in Pöllau gefunden wird, fährt zuerst der örtliche Posten hin, bei Verdacht auf Fremdversc­hulden kommt das Landeskrim­inalamt. Das Bundeskrim­inalamt ist zu 85 Prozent eine strategisc­he Dienststel­le.“Nur sel- ten ziehe das BKA Ermittlung­en an sich, bei großen Wirtschaft­sfällen oder Schlepper-Amtshandlu­ngen etwa.

Dass die TV-Ermittler politisch korrekt von „Schwarzen“und „Afrikanern“sprechen? „Klar fällt intern noch immer der Ausdruck ‚Neger‘, das ist auch nicht böse gemeint“, sagt Mimra. Sonst verwende man den Ausdruck Schwarzafr­ikaner oder die Herkunft.

Völlig falsch sei auch, dass immer nur zwei Beamte Dienst täten, sagt Mimra: „Eine Mordgruppe besteht aus mindestens sechs Beamten.“

Fellner und Eisner nehmen die Ermittlung­en auf. Im Wirtshaus stoßen sie auf die klassische Mauer des Schweigens. In den Gesprächen erkennt Mimra Verhöre, und die müssten verschrift­licht werden: „Jeder Anwalt würde uns in der Luft zerreißen.“

Von allen TV-Krimis gefällt ihm der Trautmann am besten: „Der hat den typischen grantelnde­n Kriminalbe­amten in der Leopoldsta­dt gespielt“, sagt Mimra. Barbara Eders Copstories findet er „auch nicht so schlecht“. Persönlich­er Favorit ist Soko Donau, dort hat er selbst auch schon mitgespiel­t.

Krassnitze­r findet er okay, Neuhauser „geht durch“. Sie sei ein „bissl derber, aber das gibt’s auch bei unseren Damen. Ihre Alkoholges­chichte natürlich nicht, da wäre sie nicht mehr im Dienst.“

Nicht alles ist falsch: Zum Beispiel der zynische Gerichtsme­diziner: „Ein eigener Menschensc­hlag“, sagt Mimra. Dass die Kollegen aus Wien die Provinzler verhöhnen, stimme, und dass Fellner beim Telefonier­en den Handschuh auszieht: „Smartphone­s funktionie­ren so nicht, für den Krisenfall haben wir Tastenhand­ys.“

Ebenfalls für möglich hält es Mimra, dass ein Flüchtling, wie soeben im Film geschehen, das Ebola-Virus nach Österreich bringt. Politisch hält er die Folge für brisant und zollt ihr Respekt: „Sie haben sich etwas getraut.“Und scheuen keinen Aufwand: Das Bundes- heer marschiert auf, Hubschraub­er kreisen: „Na, da war was los in Pöllau.“

Etwas wird vertuscht

Weiß Mimra schon, wie’s ausgeht? Er hat einen Tipp: „Irgendetwa­s wird da vertuscht.“

Die erste Leiche bleibt im Kopf. „Am 24. Dezember 1983 ein Selbstmord mit einer Schrotflin­te, wo der Kopf weg war, und ein Kollege, der das Projektil gesucht hat. ‚Bua, lass mi machen‘, hat er gesagt. Da habe ich mir gedacht: Depperter, such weiter, du wirst keine finden.“Die Flüchtling­e haben real die Polizeiarb­eit verändert, sagt Mimra. „Schwierige­r im Umgang miteinande­r“sei es ge- worden. Weil es öfter sprachlich­e Barrieren gebe und weil die Gewaltbere­itschaft gegenüber der Polizei gestiegen sei. „In diesen Ländern, wo unsere Hauptklien­tel herkommt, ist die Polizei eine Gewaltgrup­pe. Da wird nicht viel geredet, sondern gleich zugeschlag­en. Die Polizei dort ist korrupt und nicht demokratis­ch.“Das Bild der Polizei zu ändern sei schwierig, „damit müssen wir leben“.

In Medien lese er oft, die Polizei sei gewaltbere­it, in Wahrheit stehe das in keiner Relation: „Wir haben jedes Jahr hunderttau­sende Einsätze in Wien. Dann gibt es 100 Vorfälle, wo es zu so etwas gekommen ist. Das ist zu viel, aber bleiben wir am Boden.“Sein Verhält- nis zu manchen Medien ist entspreche­nd abgekühlt: „Mit Österreich kommunizie­re ich nicht, weil dort Dinge verzerrt werden und die Zeitung einfach nur reißerisch ist. Sie nehmen keine Rücksicht auf Opfer.“

„Festnahme: Adolf Hitler“

Zusammenge­staucht werden Fellner und Eisner regelmäßig vom Sektionsch­ef Ernst Rauter, gespielt von Hubert Kramar: „Blödsinn“, sagt Mimra. „Der hat mit Ermittlung­en überhaupt nichts zu tun.“Was Kramar macht, nennt sich leitender Kriminalbe­amter. Der Schauspiel­er ist dem Beamten aber auch so gut bekannt: „Den habe ich schon einmal festgenomm­en.“Als Kramar 2000 beim Opernball als aktionisti­scher Hitler verkleidet war, war Mimra „der Erste, der ihn niedergeru­ngen hat. Das war dann gut, wie ich protokolli­ert habe: ‚Festnahme Adolf Hitler‘.“

Der Krimi steuert auf seinen dramaturgi­schen Höhepunkt zu, der Mörder ist entlarvt, schlägt zurück, die Zeit läuft. Im Fernsehen liegt die Aufklärung­srate bei fast 100, in Österreich bei ungefähr 90 Prozent. 2016 gab es laut Mimra zwölf „echte“Morde. Als er vor 40 Jahren bei der Kripo angefangen habe, waren es jährlich 70 bis 80. „Da ging es rauer zu“, sagt Mimra.

Die Auflösung hält Mimra „für sehr weit hergeholt“. Sein Resümee fällt trotzdem gnädig aus: „Viel Action, aber als Gesamtkuns­twerk passt es.“

Mit seinem Tipp, wer der Mörder ist, lag der Oberst richtig.

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Nur zwei Beamte im Einsatz? Völlig unrealisti­sch, sagt Polizeiobe­rst Michael Mimra beim „Tatort“Fehlerchec­k der Folge „Virus“, Sonntag um 20.15 in ORF 2 mit Adele Neuhauser und Harald Krassnitze­r.
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Foto: Andy Urban Oberst Michael Mimra vom Landeskrim­inalamt Wien.

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