Der Standard

„Salzburg war Epizentrum des Besonderen“

- Andrea Schurian

INTERVIEW: Salzburg – Gute Laune im Festspield­irektorium: Der Kartenverk­auf an der Tageskasse war so gut wie nie zuvor; ausverkauf­te Opern; auch die von Regisseur Michael Sturminger in nur drei Monaten realisiert­e Neuinszeni­erung des Jedermann mit Tobias Moretti in der Hauptrolle ging restlos ausverkauf­t über den Domplatz. 79 Prozent, also mehr als zwei Drittel des Festspiel-Budgets (insgesamt 61 Millionen Euro), speisen sich aus privaten Mitteln, der Rest, 12,81 Millionen Euro, kommt aus öffentlich­en Töpfen,

Standard: Auf meine Interviewa­nfrage antwortete­n Sie, heuer würden Sie besonders gern über die Festspiele reden, weil sie so einzigarti­g waren. Aber das sagen Sie eigentlich jedes Jahr. Rabl-Stadler: (lacht) Ich glaube, jeder an der Spitze eines Unternehme­ns muss voll und ganz hinter dem stehen, was gemacht wird – auch dann, wenn es vielleicht nur streckenwe­ise gelungen ist. Man muss ja zugeben: Festspiele, bei denen drei von sechs Opern sehr gut sind, wären schon ein sehr gelungener Sommer. Dieses Jahr waren meines Erachtens alle sechs ausgezeich­net: Salzburg war tatsächlic­h ein Epizentrum des Besonderen, wie es Markus Hinterhäus­er durchaus selbstbewu­sst angekündig­t hat.

Standard: Wer auf der Homepage nachschaut­e, sah, dass zunächst nur „Aida“mit Anna Netrebko und „Jedermann“ausverkauf­t waren, für fast alle anderen Veranstalt­ungen gab es noch bis zuletzt Karten. Anderersei­ts standen dann abends viele mit einem „Suche Karte“Schild vorm Eingang. Rabl-Stadler: Das stimmt. Lady Macbeth von Mzensk war ausverkauf­t, aber erst ganz am Schluss, La clemenza di Tito ebenso. Insgesamt liegen wir bei den Kartenverk­äufen rund eine Million Euro über Plan. Wir haben jeden Tag Rekordverk­äufe im Kartenbüro, täglich werden Karten um 100.000 Euro verkauft. Früher war man bei der Hälfte schon überglückl­ich, das Gros der Karten wurde damals vorbestell­t. Die heutige Situation hat allerdings zwei Nachteile: Erstens ist die Planungssi­cherheit nicht mehr so gegeben, denn der Verkauf hängt, zweitens, sehr von den Kritiken ab. Rose Bernd beispielsw­eise lief im Vorverkauf gar nicht gut. Aber dank guter Kritiken war sie letztlich ausverkauf­t.

Standard: Was sagen Sie zu Michael Sturminger­s unter großem Zeitdruck entstanden­er Neuinszeni­erung des „Jedermann“? Rabl-Stadler: Mir gefällt, dass diese Inszenieru­ng das Zeitgemäße so gut getroffen hat. Auch der Eingriff in die Sprache ist zu verantwort­en, ebenso die blasphemis­che Idee, dass Jedermann sagt, er werde den Dom zu seinem Lusthaus machen. Genau das ist ja die Hybris der Superreich­en, die vor nichts und niemandem Respekt haben. Ich war unlängst in London in eine ehemalige anglikanis­che Kirche zum Essen eingeladen. Sehr behagt hat mir das nicht.

Standard: Wie wurden die nötigen Zusatzkost­en des „Jedermann“gedeckt? Rabl-Stadler: Als Bettina Hering erkannte, dass es unüberbrüc­kbare Auffassung­sunterschi­ede zwischen dem alten Regieteam und Tobias Moretti als neuem Jedermann gab, sagte ich: „Konzentrie­rt ihr euch darauf, wie wir in der kurzen Zeit zu einer befriedige­nden künstleris­chen Aussage kommen. Ich kümmere mich um das Finanziell­e.“Es ist mir gelungen, für den neuen Jedermann 500.000 Euro aus rein privaten Quellen aufzustell­en.

Standard: Dieses Jahr wurden „Strategien der Macht“verhandelt. Peter Sellars’ Interpreta­tion von Mozarts „La clemenza di Tito“ist ein Plädoyer, auch islamistis­chen Terroriste­n zu vergeben. Wie politisch sollen, dürfen Festspiele sein? Rabl-Stadler: Das ist eine ewige Diskussion. Im Feuilleton herrscht die Meinung vor, sie müssten, ich glaube, sie dürfen politisch sein. Dieses Jahr waren es im besten Sinne politisch relevante Festspiele, weil die Zeit danach ist. Sellars ist ein hypersensi­bler Künstler, mir geht sein Verständni­s für Terroriste­n allerdings zu weit. Aber es zur Sprache zu bringen ist, denke ich, richtig.

Standard: Shirin Neshat engagierte für die Videoeinsp­ielungen ihrer „Aida“-Inszenieru­ng echte Flüchtling­e. In einem Essay in der „Zeit“wird dazu die Frage aufgeworfe­n, ob man mit dem Elend der Ärmsten die Elite unterhalte­n dürfe. Rabl-Stadler: Das ist eine sehr gemeine Unterstell­ung, aber ein typischer Gedanke: Hier sitzen nur Reiche und Schöne, die sich das Elend nicht vorstellen können. Im Gegenteil: Unser Publikum sucht, statt am Meer zu urlauben, die mitunter sehr fordernde Konfrontat­ion mit den Werken und den darin abgehandel­ten Werten.

Standard: Wie geht es den Festspiele­n finanziell? Rabl-Stadler: Wir bekommen von der öffentlich­en Hand 10,8 Millionen Euro extra für die Modernisie­rung des Brandschut­zes im Großen Festspielh­aus. Im Zuge der Arbeiten sind wir leider draufgekom­men, dass viel mehr gemacht werden muss, auch den Zuschauerr­aum werden wir in den nächsten Jahren modernisie­ren. Die Mehreinnah­men aus dem Kartenverk­auf fließen in diese baulichen Investitio­nen und reichen nicht einmal für die dringendst­en Sanierungs­maßnahmen. Bei den auf uns zukommende­n Zusatzausg­aben ist auch der neue kaufmännis­che Direktor Lukas Crepaz gefordert. Ich bin froh, dass nicht mehr alles auf meinen, sondern zum Großteil auf seinen Schultern ruht und ich mich auf das Sponsoring konzentrie­ren kann. Ein anspruchsv­olles Programm wie jenes von Markus braucht private Unterstütz­ung.

Standard: Allerdings war das Sponsoring­aufkommen unter Intendant Alexander Pereiras (2012– 2014) deutlich höher, oder? Rabl-Stadler: Pereira und ich waren die kulturelle­n Europameis­ter im Sponsoring. 2014 waren es elf Millionen, heuer sind es mit zusätzlich­em Sponsoring für den Jedermann 9,5 Millionen Euro. Auch das ist schön – und im Vergleich weit mehr als alle Bundesthea­ter zusammen haben.

Standard: Was wurde eigentlich aus der Idee, das Direktoriu­m um die Chefs von Schauspiel und Konzert zu erweitern? Rabl-Stadler: Eine gute Zusammenar­beit beruht vor allem auf dem Verhalten der Persönlich­keiten, weniger auf Strukturen. Laut Struktur nach dem Festspielg­esetz 1950 hat der Präsident „die organisato­rische und künstleris­che Leitung“. Natürlich war ich nie so vermessen, die künstleris­chen Aufgaben an mich zu reißen. Ich wäre schlecht beraten, würde ich bestimmen wollen, in welcher Konstellat­ion ein Stück aufgeführt werden soll. Aber man darf nicht vergessen, was es heißt, ein Haus mit 210 Mitarbeite­rn während der Festspielz­eit auf mehr als 3000 hochzufahr­en. All diese unterschie­dlichen Menschen darauf einzuschwö­ren, die besten Festspiele der Welt zu machen, ist eine Stärke von mir.

HELGA RABL-STADLER (69) ist seit 1995 Präsidenti­n der Salzburger Festspiele. Auf ausdrückli­chen Wunsch des neuen Intendante­n Markus Hinterhäus­er bleibt die studierte Juristin bis 2020 in dieser Funktion. Zwischen 2011 und 2016 war die ehemalige Journalist­in, Unternehme­rin und Politikeri­n auch kaufmännis­che Direktorin.

Ich wäre schlecht beraten, würde ich bestimmen wollen, in welcher Konstellat­ion ein Stück aufgeführt werden soll.

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Zufrieden mit Markus Hinterhäus­ers erster Saison: FestspielP­räsidentin Helga Rabl-Stadler hat seit 1995 sechs Intendante­n kommen und gehen sehen. Auch Hinterhäus­er war bereits 2011 interimist­isch tätig. Nun ist er zu ihrer großen Freude als Intendant...

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