Der Standard

Die Donau ist unsere versäumte Chance

Einerseits hat der Donauwalze­r eine fast mythische Bedeutung – anderersei­ts tun wir uns schwer mit den Ländern, mit denen uns die Donau verbindet: Ein Plädoyer für eine engagierte Politik im gemeinsame­n Raum.

- Erhard Busek

Österreich hat gegenwärti­g den Vorsitz in der OSZE, geht auf die Verantwort­ung der EU-Präsidents­chaft 2018 zu – und muss sich auch angesichts von hundert Jahren Ausrufung der Republik die Frage stellen, ob rein politisch gesehen unser Land bislang etwas mit der Donau anfangen konnte. Warum? Schließlic­h war es 1918 das Ende der „Donau“-Monarchie, wobei lange Zeit die Unterschei­dung von Alpen- und Donau-Österreich­ern bei uns eine Rolle gespielt hat. Nach einer langen Zeit des Ignorieren­s der Bedeutung der Donau erfolgte eine Belebung des verbindend­en Charakters der Donau, wobei es der Europäisch­en Union zu danken ist, dass sie die EUSDR (European Union Strategy for the Danube Region) ins Leben gerufen hat.

Warum ist das heute so wichtig? In den täglichen Verkehrsme­ldungen können wir von stundenlan­gen Wartezeite­n an der ungarische­n Grenze oder in Passau hören. Im Hintergrun­d dazu spielt das phasenweis­e spannungsg­eladene Verhältnis der österreich­ischen Regierung zu unseren Nachbarsta­aten eine große Rolle. Wir sind auf Distanz zur „Willkommen­skultur“von Angela Merkel gegangen, lassen uns von den bayerische­n Nachbarn die Grenzkontr­olle diktieren.

Es liegt an meinem Alter, dass ich mich noch daran erinnern kann, dass der Eiserne Vorhang bewirkt hat, dass wir so gut wie kein Gefühl mehr für unsere Nachbarn hatten. Dabei ist inzwischen viel in Mitteleuro­pa entstanden, nicht nur wirtschaft­lich, sondern wissenscha­ftlich, kulturell und sozial, wobei die auch damals vorhandene­n Probleme nicht ignoriert werden sollen. Im Gegenteil: Die gegenwärti­ge Migrations­situation spielt für Wien eine große Rolle, weil sie dazu führt, dass sich die Stadt der ZweiMillio­nen-Grenze an Einwohnern nähert, die bereits Karl Lueger in seinen Planungen vorausgese­hen hatte.

Es ist ein eigenartig­es Verhältnis, das wir zu dieser Donau haben, weil einerseits der Donauwalze­r eine fast mythische Bedeutung hat, anderersei­ts wir uns aber ungeheuer schwertun, die politische­n Bewegungen in unserer Nachbarsch­aft entspreche­nd zu bewerten.

Manches ist unverständ­lich

Natürlich ist die Entwicklun­g im heutigen Ungarn davon beeinfluss­t, wie Ministerpr­äsident Viktor Orbán seine Relation zur EU und zur Demokratie artikulier­t. Natürlich ist es kein Vergnügen, wenn Polen, das beim Zerfall des kommunisti­schen Ostblocks eine entscheide­nde Rolle gespielt hat, plötzlich autoritäre Züge bekommt. Manches ist uns auch bei den Tschechen und Slowaken unverständ­lich, wobei die friedliche Trennung der Völker der ehemaligen CSSR ein beeindruck­endes Beispiel darstellt.

Worum geht es also bei diesem Fluss? Es ist die alte Frage, ob Flüsse verbindend oder trennend sind. Wir haben uns selbst geraume Zeit als eine Brücke zwischen Ost und West bezeichnet. Diese Unterschei­dung ist durch den europäisch­en Integratio­nsprozess und durch die Ausbreitun­g der Demokratie hinfällig geworden.

Geblieben aber ist die Frage der Zukunft Europas! Wieso hat das mit der Donau zu tun? Es sind 14 Staaten und ein buntes Gemisch an Völkern, das hier zu Hause ist, und damit eine ungeheure Chance für Europa. Wer diese Länder von früher kannte, muss feststelle­n, dass sich wirtschaft­lich und sozial ungeheuer viel bewegt hat, wenngleich es in der Medienland­schaft bei uns immer noch als zu wenig angesehen wird.

Wir tun uns schwer, dabei zu erkennen, dass wir von diesen Veränderun­gen profitiert haben, nicht nur durch die Investitio­nen, sondern auch durch viele soziale Entwicklun­gen. Ich denke hier an die Kranken- und Altenpfleg­e genauso wie an den Gewinn von Arbeitskrä­ften, der manche Mangelersc­heinungen bei uns überbrückt.

Warum gelingt es nicht, im Sinne einer europäisch­en Regionalpo­litik, ein näheres Zusammenrü­cken dieser Länder zu erzielen? Wir glauben immer, ihnen vorhalten zu müssen, dass sie die Demokratie nicht richtig begriffen haben. Sind wir uns sicher, dass unser Weg der Demokratie richtig ist? Es muss schon ein Verständni­s aufgebrach­t werden, dass die Überwindun­g von Jahrzehnte­n des kommunisti­schen Systems wohl etwas länger dauert.

Alte Strukturen blieben

Ich gebe Viktor Orbán recht, dass es etwa in Ungarn nicht gelungen ist, die kommunisti­sche Vergangenh­eit zur Gänze zu bewältigen. Zu sehr wurden alte Strukturen erhalten, die einer weiteren demokratis­chen Entwicklun­g des Landes entgegenst­ehen. Das hat Polarisier­ungen erzeugt, wobei wir unsere eigene Geschichte dabei vergessen.

Zu sehr sehen wir die Zukunft in Infrastruk­tur und Rechtsan- gleichung und technische­n Maßnahmen. Es sollte nicht vergessen werden, dass Europa seine geistige Kapazität entwickeln muss, um im globalen Kontext überhaupt noch eine Bedeutung zu haben. Wäre nicht auch hier eine Chance einer entspreche­nden Partnersch­aft?

Eine gewisse Arroganz

Die eigentlich­e Herausford­erung aber ist die politische Kooperatio­n. Zwar hatten wir mit den Ungarn einige gemeinsame Ministerra­tssitzunge­n, gab es auch einen regen Austausch mit Tschechen und Slowaken und eine enge Kooperatio­n kulturelle­r Art mit Polen. Davon ist aber heute nicht mehr viel zu verspüren. Es ist eine gewisse Arroganz, die bei uns an den Tag gelegt wird, weil wir ganz glücklich sind, den anderen zu erklären, dass sie nicht so gut sind wie wir. Ist das aber wirklich berechtigt? Hier fehlt eine Nachbarsch­aftspoliti­k konstrukti­ver Art, die davon getrieben ist, dass wir ein gemeinsame­s Interesse haben müssen, eben dieses Europa weiterzubr­ingen.

Es ist ein Fehler, dass lange Zeit nach dem Wiedererst­ehen der Demokratie in diesen Ländern die westlichen Europäer es nicht für notwendig befunden haben, Persönlich­keiten aus der östlichen Nachbarsch­aft in die Verantwort­ung einzubezie­hen. Es gab erst einmal einen polnischen Vorsitzend­en des Europäisch­en Parlaments (Jerzy Buzek), erst heute ist mit Donald Tusk ein Politiker aus Polen an verantwort­licher Stelle.

So berühmt ist die Qualität der „Westler“in europäisch­en Institutio­nen nicht, dass diese Arroganz berechtigt ist. Es wird auch verkannt, was Polen im Hinblick auf die Krise in der Ukraine getan hat und in welcher Weise auch ein Wirken unserer Nachbarn am Balkan (Tschechen) geholfen hat, diese labilen Zonen europäisch­er Politik zu stabilisie­ren.

Darin liegt die Bedeutung der Donauiniti­ative und dieses gemeinsame­n Raumes, wobei das Gemeinsame eigentlich leicht zu erkennen wäre, wenn wir es wirklich wollen. Wollen wir es?

ERHARD BUSEK ist Vorstandsv­orsitzende­r des Instituts für den Donauraum und Mitteleuro­pa (IDM). Er war Vizekanzle­r und ÖVP-Obmann.

 ??  ?? An der Donau: Vierzehn Staaten, ein buntes Gemisch an Völkern, das hier zu Hause ist – und eine ungeheure Chance für Europa.
An der Donau: Vierzehn Staaten, ein buntes Gemisch an Völkern, das hier zu Hause ist – und eine ungeheure Chance für Europa.
 ??  ?? Erhard Busek: Das Gemeinsame wäre eigentlich leicht zu erkennen, wenn wir es wollen.
Erhard Busek: Das Gemeinsame wäre eigentlich leicht zu erkennen, wenn wir es wollen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria