Der SPÖ täte eine Phase der Selbstfindung gut
Die Sozialdemokratie hat sich zu lange auf frühere Leistungen und die Fehler der anderen verlassen. Ohne weitere Spitzenleute kann auch Christian Kern die Partei nicht retten. Ein Ausweg wäre der Gang in die Opposition.
Eseleien“unter den Mitarbeitern, wenig solidarische Wahlkampfslogans à la „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“und manifeste Probleme mit den „Spindoktoren“lassen die Sozialdemokratische Partei Österreichs nicht zur Ruhe kommen. Auch der von der ÖBB geholte Spitzenmanager kann das Ruder allein nicht herumreißen. Die traditionsreiche Bewegung, die auf große Errungenschaften für die Arbeiterbewegung und weit darüber hinaus für ganz Österreich zurückblicken kann, ist scheinbar angezählt. Sind all diese Vorfälle nur Pech und meint es das Schicksal nicht gut mit der Sozialdemokratie, oder stecken im Unterbewusstsein der Parteigeschichte größere nicht verarbeitete Problematiken? Fakt ist, dass es die SPÖ aktuell nicht wirklich schafft, im Wahlkampf Fuß zu fassen.
Analog zu der Entwicklung eines Unternehmens wie beispielsweise Nokia hat sich die SPÖ zu lange auf den Lorbeeren der Vergangenheit und auf den Leistungen vorangegangener Granden wie Bruno Kreisky oder Helmut Zilk in Wien verlassen. In diesem Kontext wurde eine tiefgehende und langwierige Personalentwicklung verabsäumt. Die Probleme, die die Partei jetzt wie ein Orkan treffen, haben ihre Ursachen Jahrzehnte zuvor. Schon Franz Vranitzky hatte trotz eines enormen Parteiapparates und zahlreicher Vorfeldorganisationen wie Gewerkschaften, Pensionistenverband und vieler mehr seine lieben Mühen, mit dem damaligen Newcomer Jörg Haider, dessen kessen Sprüchen und seiner direkten Art zurechtzukommen.
Damals schon sahen die Sozialdemokraten alt aus, da sie auf die immer gleichen Rezepte und auf sich brav hochgedient habende Persönlichkeiten setzten. Die zwi- schenzeitigen Erholungsphasen der Partei waren nicht der eigenen Stärke geschuldet, sondern hingen mehr mit der Selbstdemontage der damaligen FPÖ und ÖVP zusammen. Dieses Phänomen wurde jedoch in der sozialdemokratischen Bewegung falsch interpre- tiert, und man ging immer wieder zu Business as usual über, anstatt die Partei in den Ruhephasen innerlich einem wirklichen Reformund auch Personalentwicklungsprozesses zu unterziehen. Diese nicht erledigten Hausaufgaben rächen sich jetzt bitter. Der aktuelle Höhepunkt in Zusammenhang mit einem festgenommenen israelischen Berater stellt nur ein – frei nach Paul Watzlawick – schmerzliches Symptom, aber nicht die Krankheit der Partei dar. Es fehlt an Spitzenleuten, die dem Einzelkämpfer Christian Kern unter die Arme greifen könnten.
Als die Krise in der SPÖ unter Werner Faymann zu stark hochzukochen schien, wurde eilig ein Heiland aus der staatsnahen ÖBB geholt, der dem in die Jahre gekommenen Apparat und den Apparatschiks in der Löwelstraße Beine machen sollte. Daraus wurde, wie man sieht, nicht viel. Eine weit vernetzte und jahrzehntelang gewachsene Organisation wie die SPÖ kann man nicht einfach durch einen Marketingcoup retten oder reformieren. Wie ein Unternehmen ist auch eine Partei mehr als die Summe der einzelnen Akteure. Der CEO allein kann nicht alle Spielfeldpositionen vom Tormann bis zum Stürmer einnehmen. Dies merkt die SPÖ schmerzlich, und dies wird auch Sebastian Kurz von der ÖVP früher oder später zu spüren bekommen.
Kern braucht Hilfe
Wo bleibt die Stärke der SPÖ, wo der Stärkere dem Schwachen hilft und man gegenseitig trotz aller widrigen Umstände für den anderen einsteht? Es ist paradox: Nun würde der starke Mann der Partei, Kanzler Kern, selbst Schützenhilfe aus den eigenen Reihen benötigen. Das kann aber nur geschehen, wenn man derartige Kaliber vorher in den eigenen Reihen hat heranwachsen lassen. Trotz durchaus angesehener Persönlichkeiten fehlen in der SPÖ diese wirklich starken Männer und Frauen. So schlimm diese Zukunftsperspektive für viele Genossen wohl sein dürfte: Eine Zeit der Konsolidierung und Selbstfindung in der Opposition, aus der die SPÖ gestärkt wieder hervorgehen kann, wäre therapeutisch gesehen nicht schlecht.
DANIEL WITZELING ist Psychologe und Sozialforscher. Er leitet das Humaninstitut Vienna.