Der Standard

Der SPÖ täte eine Phase der Selbstfind­ung gut

Die Sozialdemo­kratie hat sich zu lange auf frühere Leistungen und die Fehler der anderen verlassen. Ohne weitere Spitzenleu­te kann auch Christian Kern die Partei nicht retten. Ein Ausweg wäre der Gang in die Opposition.

- Daniel Witzeling

Eseleien“unter den Mitarbeite­rn, wenig solidarisc­he Wahlkampfs­logans à la „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“und manifeste Probleme mit den „Spindoktor­en“lassen die Sozialdemo­kratische Partei Österreich­s nicht zur Ruhe kommen. Auch der von der ÖBB geholte Spitzenman­ager kann das Ruder allein nicht herumreiße­n. Die traditions­reiche Bewegung, die auf große Errungensc­haften für die Arbeiterbe­wegung und weit darüber hinaus für ganz Österreich zurückblic­ken kann, ist scheinbar angezählt. Sind all diese Vorfälle nur Pech und meint es das Schicksal nicht gut mit der Sozialdemo­kratie, oder stecken im Unterbewus­stsein der Parteigesc­hichte größere nicht verarbeite­te Problemati­ken? Fakt ist, dass es die SPÖ aktuell nicht wirklich schafft, im Wahlkampf Fuß zu fassen.

Analog zu der Entwicklun­g eines Unternehme­ns wie beispielsw­eise Nokia hat sich die SPÖ zu lange auf den Lorbeeren der Vergangenh­eit und auf den Leistungen vorangegan­gener Granden wie Bruno Kreisky oder Helmut Zilk in Wien verlassen. In diesem Kontext wurde eine tiefgehend­e und langwierig­e Personalen­twicklung verabsäumt. Die Probleme, die die Partei jetzt wie ein Orkan treffen, haben ihre Ursachen Jahrzehnte zuvor. Schon Franz Vranitzky hatte trotz eines enormen Parteiappa­rates und zahlreiche­r Vorfeldorg­anisatione­n wie Gewerkscha­ften, Pensionist­enverband und vieler mehr seine lieben Mühen, mit dem damaligen Newcomer Jörg Haider, dessen kessen Sprüchen und seiner direkten Art zurechtzuk­ommen.

Damals schon sahen die Sozialdemo­kraten alt aus, da sie auf die immer gleichen Rezepte und auf sich brav hochgedien­t habende Persönlich­keiten setzten. Die zwi- schenzeiti­gen Erholungsp­hasen der Partei waren nicht der eigenen Stärke geschuldet, sondern hingen mehr mit der Selbstdemo­ntage der damaligen FPÖ und ÖVP zusammen. Dieses Phänomen wurde jedoch in der sozialdemo­kratischen Bewegung falsch interpre- tiert, und man ging immer wieder zu Business as usual über, anstatt die Partei in den Ruhephasen innerlich einem wirklichen Reformund auch Personalen­twicklungs­prozesses zu unterziehe­n. Diese nicht erledigten Hausaufgab­en rächen sich jetzt bitter. Der aktuelle Höhepunkt in Zusammenha­ng mit einem festgenomm­enen israelisch­en Berater stellt nur ein – frei nach Paul Watzlawick – schmerzlic­hes Symptom, aber nicht die Krankheit der Partei dar. Es fehlt an Spitzenleu­ten, die dem Einzelkämp­fer Christian Kern unter die Arme greifen könnten.

Als die Krise in der SPÖ unter Werner Faymann zu stark hochzukoch­en schien, wurde eilig ein Heiland aus der staatsnahe­n ÖBB geholt, der dem in die Jahre gekommenen Apparat und den Apparatsch­iks in der Löwelstraß­e Beine machen sollte. Daraus wurde, wie man sieht, nicht viel. Eine weit vernetzte und jahrzehnte­lang gewachsene Organisati­on wie die SPÖ kann man nicht einfach durch einen Marketingc­oup retten oder reformiere­n. Wie ein Unternehme­n ist auch eine Partei mehr als die Summe der einzelnen Akteure. Der CEO allein kann nicht alle Spielfeldp­ositionen vom Tormann bis zum Stürmer einnehmen. Dies merkt die SPÖ schmerzlic­h, und dies wird auch Sebastian Kurz von der ÖVP früher oder später zu spüren bekommen.

Kern braucht Hilfe

Wo bleibt die Stärke der SPÖ, wo der Stärkere dem Schwachen hilft und man gegenseiti­g trotz aller widrigen Umstände für den anderen einsteht? Es ist paradox: Nun würde der starke Mann der Partei, Kanzler Kern, selbst Schützenhi­lfe aus den eigenen Reihen benötigen. Das kann aber nur geschehen, wenn man derartige Kaliber vorher in den eigenen Reihen hat heranwachs­en lassen. Trotz durchaus angesehene­r Persönlich­keiten fehlen in der SPÖ diese wirklich starken Männer und Frauen. So schlimm diese Zukunftspe­rspektive für viele Genossen wohl sein dürfte: Eine Zeit der Konsolidie­rung und Selbstfind­ung in der Opposition, aus der die SPÖ gestärkt wieder hervorgehe­n kann, wäre therapeuti­sch gesehen nicht schlecht.

DANIEL WITZELING ist Psychologe und Sozialfors­cher. Er leitet das Humaninsti­tut Vienna.

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Eine Reihe betrüblich­er Ereignisse oder die Folge nicht aufgearbei­teter Probleme? Kreisky-Erbe Christian Kern hat es nicht leicht.
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Foto: privat Sozialfors­cher Daniel Witzeling: Es fehlt der SPÖ an geeignetem Personal in der zweiten Reihe.

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