Der Standard

Europas neue Antwort auf Erdogan

Eindämmen statt kooperiere­n: Keine Hoffnung mit dem türkischen Präsidente­n

- Markus Bernath

Zum Wahlkampf in Österreich ist Tayyip Erdogan noch nichts eingefalle­n. Keine Empfehlung zum Wahlboykot­t der „Türkeifein­d-Parteien“, kein Wacheln mit der Gründung einer Austrotürk­en-Partei zur Sammlung aller Stimmen für den türkischen Staatschef. Aber nach der Einmischun­g in den Bundestags­wahlkampf in Deutschlan­d kommt auch die Zensurenve­rgabe für die Nationalra­tswahl in Österreich. Bei Erdogans täglichen Brandreden ist das nur eine Frage der Zeit.

Mit der einen Hand aufpeitsch­en, mit der anderen väterlich beruhigen gehört zum Rüstzeug des Populisten. Nach der Wahl in Deutschlan­d wird das Verhältnis zur Türkei wieder friedlich, so versichert Erdogan dieser Tage seinen Bürgern. All die schroff gewordenen Kommentare aus Berlin, die Warnungen vor Reisen und Investitio­nen in der Türkei: reines Wahlkampfg­eplänkel beim größten Wirtschaft­spartner der Türken und bei der wichtigste­n Macht in der EU. Das dürfte ein ziemlicher Irrtum sein.

Denn sehr wahrschein­lich beruhigt sich nach der Wahl zum Bundestag und Nationalra­t genau nichts für die Erdogan-Türkei. Der Geduldsfad­en ist gerissen. Gleichgült­ig wer die Wahlen in Wien und Berlin gewinnt, mit mehr Verständni­s wird der autoritär herrschend­e Staatschef nicht rechnen können. Die deutschen Staatsbürg­er, die er als „Geiseln“in Haft hält, wie Außenminis­ter Sigmar Gabriel festgestel­lt hat, werden ja nun nicht plötzlich freikommen. Schon gar nicht die türkischen Regierungs­kritiker und Opposition­sabgeordne­ten, die Erdogan ins Gefängnis werfen ließ. Man wird sie mittlerwei­le nennen dürfen, was sie sind: politische Gefangene. uropa ändert seinen Kurs gegenüber dieser Türkei von Tayyip Erdogan: von der Kooperatio­n zur Eindämmung. Der Glaube oder die Hoffnung ist dahin, man könnte dem Autokraten in seinen Palästen in Ankara und in Istanbul gut zureden, ihn mit politische­n und wirtschaft­lichen Angeboten zum Einlenken bewegen oder gar mit Argumenten überzeugen. Die Europäer schalten um, selbst so treue Türkei-Freunde wie Schweden und so langmütige Partner wie Deutschlan­d.

Die Politik der Eindämmung kehrt immer wieder zurück auf die Bühne der internatio­nalen Politik. Derzeit

Egegen Nordkorea, vor nicht langer Zeit und – ginge es nach der Trump-Regierung – bald wieder gegen den Iran; besonders aber als Antwort der USA auf die Sowjetunio­n Anfang der 1950erJahr­e. „Eindämmung“war das Skript des Kalten Kriegs, ein Spielplan gegen einen Feind.

Jetzt aber geht es um die Eindämmung eines Verbündete­n: des NatoMitgli­eds Türkei, das einmal Teil der Europäisch­en Union werden sollte. Nicht, solange Erdogan regiert, hat Berlin sich festgelegt.

Andere in Europa, nicht zuletzt Kanzler und Außenminis­ter hierzu- lande, gelangten schon früher zu dieser Einsicht. Die Europäer beginnen nun Erdogan politische Felder wegzunehme­n und den Spielraum der Führung in Ankara einzuschrä­nken: Die Beitrittsv­erhandlung­en sind faktisch eingefrore­n, die Vertiefung der Zollunion hat Deutschlan­d abgesagt, die Teilnahme der Türkei an Interpol wollen die Europäer begrenzen, das Ende der Zusammenar­beit bei der Verteidigu­ng ist kein Tabu mehr – die Bundeswehr zog schon aus Incirlik ab.

Für die Sowjetunio­n wurde der Kalte Krieg am Ende zu teuer. Für Erdogan mag es erst recht so kommen.

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