Dirty Black Summer
herum, und immer noch putzt er jede Nacht seine Kupfertheke auf die gleiche Weise, bis alles wie verzaubert blinkt, aber all das geht seinem Verschwinden entgegen, irgendwann gibt es kein Zurückkommen mehr. Dann wird unsere Wirtschaft auf ewig ins Präteritum eingegangen sein. Und auf ewig angekommen sein im „Weißt du noch ...“.
Andreas Maier ist Schriftsteller und lebt in Hamburg. Zuletzt erschien „Der Kreis“(Suhrkamp, 2016). kalendern nur auf diesen Abend legen konnte. Ich kenne Marie, seit ich 19 bin. Jedes Vortäuschen, dass es mir besser gehe, als es mir geht, ist da nicht nötig oder auch nur möglich. Ich habe ihren britischen Partner ins Herz geschlossen und ihren kleinen Sohn, mein Patenkind. Meistens komme ich gerade noch rechtzeitig, um mir die neuesten Spielzeuge, Bücher und Stofftiere zeigen zu lassen und mit den dreien gemeinsam zu Abend zu essen. Diese Abende sind das, worauf ich mich am meisten freue, wenn ich nach Hause zurückkehre. Es ist die alltäglichste und familiärste Nähe, die ich in meinem Leben kenne. So oft sind es Menschen, die uns an Orte binden, nicht die Orte selbst. Es tut gut, sich daran zu erinnern, warum man dort lebt, wo man lebt.
Daniel Schreiber ist Autor und lebt in Berlin. Zuletzt erschien „Zuhause“(Hanser, 2017). woran man sich noch festhalten kann. Wäre das Wort ein Gegenstand und würde man versuchen, sich daran festzuhalten, würde man sich am Z und an den Ks verletzen.
Aber da gibt es ja noch das O und die das doppelte M. Das O, auf dessen Linie man entlangfahren kann, ohne je vom Weg abkommen zu können. Das M, das so weich klingt und von dem manche Zungen behaupten, es wäre nicht einer der ersten Buchstaben eines Babys, weil seine Bezugsperson mit M anfängt, sondern weil es ein Laut des Behagens ist.
Zurückkommen muss nicht wehtun, so wie das Zurückkommen nach einem langen Tag in die stille Wohnung, die den ganzen Tag nichts getan hat, außer auf einen zu warten, oder das stetige Wiederkehren der Jahreszeiten, von denen man glaubt, sie vergessen zu haben und die dann jedes Mal aufs Neue ihren Zauber ausbreiten, oder das Zurückkommen eines Menschen, von dem man sich gerade verabschiedet hat und der sich, eigentlich schon weggedreht und weggegangen, noch einmal umdreht, zurückkommt und noch einmal eine letzte Umarmung, einen letzten Kuss einfordert.
MLuise Maier ist Autorin und lebt in Biel. Ihr Debüt „Dass wir uns haben“(Wallstein) erschien 2017. ein Sommer war vielleicht wie der gleichnamige Song von Danzig, Dirty Black Summer. Das, was man gemeinhin als Sommer bezeichnet, also Hitze, Luftmatratze, Hautkrebs und Bremsen, findet meistens ohne mich statt, weil meiner bereits davor endet, wenn die Gehirnentkernten aus ihren Löchern kriechen, ich kann Hitze nicht leiden, ich hasse Menschenzusammenballungen und bade ausschließlich kalt.
Das einzig Gute am Sommer sind dann doch die Bremsen, ich muss immer so lachen, wenn ich sie sehe, sie sind so augenscheinlich dumm, denn weil sie als Hautflügler nur so eine klitzekurze Lebenszeit haben, ein logisches Programm zu entwickeln, um an die evolutionäre Spitze zu kommen (ich wollte es nicht, aber das Bild zu Donald Trump drängt sich reflexartig auf, nicht mir, sondern meinem dummen Unterbewusstsein, ich find ihn ja ganz okay, so als vorhersehbaren Evolutionskollateralschaden), also über das Jahr ein dumpfes Dasein als Eier und Larven oder was auch immer (Spechte gar) fristen, ist ihre Jagd nach Blut demzufolge auch unzureichend ausgebildet, sie landen auf ihrem Blutacker zwar samtpfotig leise, man spürt sie nicht, Fliegen etwa sind spürbarer, aber dafür reaktioneller und können kopfüber an der Decke landen und mit großer Freude ohne Unterlass mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe knallen, sie lieben das, dagegen sind die Bremsen leider nur Tölpel, keine Reflexe und offenbar blind, ich liebe es, mich von ihnen anzapfen zu lassen, dann sind sie noch schwerer und betrunkener und naturgemäß minderhirniger, ich fange sie, das geht leicht, schüttle sie in der hohlen Hand bewusstlos und werfe sie in das Netz meiner Lieblingsspinne, die in der einen Ecke meines kleinen Häuschens im verfluchten Hallstatt ein wunderschön symmetri- sches Netz gesponnen hat, eine wahre Künstlerin, auch wenn bekanntlich Symmetrie die Kunst der Armen ist, ich beobachte sie, wie sie blitzschnell die Bremse mit einem klebrigen Faden, den sie mit ihren Hinterbeinen aus ihrem Arsch zieht, umwickelt, während sie sich mit den anderen Beinen oder Armen am Netz festhält und das Paket dreht und gleichzeitig auch noch mit den anderen Gliedmaßen in der Lage ist, ein Sudoku zu lösen, blitzschnell, während sie eine Zigarette, die ihr von der Bremse angeboten wird, ablehnt, um dann ihrem verschnürten Opfer den Todeskuss zu geben (Nikotinküsse schmecken nicht, wie sie sagt, und die generöse letzte Zigarette sei sowieso nur eine Farce, mit dem sich der Exekutor das Gewissen reinzuwaschen versucht).
Heiß wie ein heißer Brei
Später trinkt sie die überrumpelte Bremse, also mein Blut, aus, und ich stelle mir so ein umgekehrtes Spider-Man-Szenario vor, in dem nicht der Mensch (Peter Parker) durch den Kuss der Spinnenfrau ihresgleichen Kräfte bekommt, sondern dass durch mein Blut, interimistisch in eine Bremsenflüssigkeit transformiert, die Spinne, die ich Irma nenne, weil das der schönste Frauenname der Welt ist, so werde wie ich, also ein Donnerclown mit Brille, und weil Irma acht Augen hat, hat die Brille natürlich auch acht Gläser mit acht Dioptrien, wie ich sie habe, das ist für den Optiker auch leichter zu merken beziehungsweise zu kombinieren, denn Optiker sind bekanntlich noch dümmer als Bremsen.
Und dann kann die Ich-Spinne gar nichts, trinkt Bier und hört Danzig, sieht allenfalls alle 18 Folgen von Twin Peaks, die dritte Staffel, ist umgehauen von der achten Folge, in der erklärt wird, wie das Böse und das Gute auf die Erde gekommen sind, eine Stunde Schöpfungsgeschichte, eine Atomexplosion, ein Ei in einer Wüste, aus dem eine Froschmotte schlüpft und einem unschuldigen amerikanischen Mädchen, das schläft, in den Mund krabbelt, und so beginnt es, und ich als die IchSpinne lecke mir die Lippen und denke, ja, das war mein Sommer, ich hab ihn nicht mitbekommen, ich hab gehört, dass er heiß wie ein heißer Brei war, ich hab ein paar Bremsen gefüttert, die ich gleich an Kreuzspinnen weiterverfüttert habe, und ich hab Twin Peaks gesehen, 18 Stunden, die gewaltigste, metaphysischste und transzendentalste Serie aller Zeiten, wer etwas anderes behauptet, muss sofort zum Arzt, und der Arzt ist dann kein Arzt, sondern eine Bremse, die deshalb so unerfolgreich ist, weil sie nur an das dumme Blut will und auf den Leckerbissen, die Seele, verzichtet, und dann kommt Irma, die Spinne, und zuzelt sie aus, frisst zusätzlich ihre eigenen Kinder, die sie mit ihrem schwächlichen Mann bekommen hat, den sie obendrein nach dem Orgasmus verputzt, was für eine Ordnung, da funktioniert das Matriarchat, und Irma kann auf so eine hohle Phrase wie den Feminismus nur spucken, und sie würde auch Binnen-Is zum Frühstück fressen und mich und mein Blut, also in diesem schwarzen, dreckigen Sommer, aber der ist ja nun Gott sei Dank vorbei.
Tex Rubinowitz ist Schriftsteller und Zeichner. Zuletzt erschien sein Roman „Lass mich nicht allein mit ihr“(Rowohlt, 2017). ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Redaktionsleitung) E-Mail: album@derStandard.at