Der Standard

Außergewöh­nlich geboren

Ijoma Mangold und Trevor Noah erzählen in „Das deutsche Krokodil“und „Farbenblin­d“je vom Aufwachsen als „Mischling“– verschiede­n und ähnlich.

- Michael Wurmitzer

Sonntagsgo­ttesdienst­e als vierstündi­ge Events aus lautstarke­m Klatschen, lauthals Singen, üppigen bunten Kleidern und grellem Make-up? Der deutsche Literaturk­ritiker Ijoma Mangold lernt sie als Mitte 20-Jähriger kennen, als er das erste Mal seinen ihm bis dahin fremden Vater in Nigeria besucht. Der in Südafrika geborene US-Fernsehcom­edian Trevor Noah hingegen kennt solche Messen von klein auf.

Unter anderem von ihnen erzählen die zwei in jüngst erschienen Buchdebüts. Eine Parallelle­ktüre lohnt sich. Denn bei allen Unterschie­den ähneln die frühen Lebensgesc­hichten der beiden einander in vielem. Was sie verbindet, ist, als „Mischling“geboren worden zu sein.

In Mangolds Fall 1971 in Heidelberg als Sohn einer weißen Deutschen und eines zwecks Medizinstu­diums nur auf Zeit dort lebenden Schwarzen. Unbedingt wollte sie ein Kind von ihm, obwohl sie wusste, dass sie es alleine würde großziehen müssen, weil er zurück nach Afrika gehen wird. „Nicht die Abwesenhei­t des Vaters ist das Problem, sondern die Spur, die er hinterlass­en hat“, schreibt Mangold in Das deutsche Krokodil rückblicke­nd über das Befinden des so auf die Welt gekommenen Buben, der er ist.

Wie Trevor Noah mischt er Erinnerung­en ans Heranwachs­en mit Kommentare­n aus Perspektiv­e des heutigen Erwachsene­n und Reflexione­n über das Anderssein an sich. Sie zählen zu den interessan­testen Stellen des Buches. Dann befällt Mangold etwa der Eindruck einer „kommunikat­iven Asymmetrie“, wenn er jemandem seine Einschätzu­ng möglicherw­eise rassistisc­her Vorkommnis­se und politische­r Inkorrekth­eiten geben soll: „Niemand widersprac­h mir. Ich hatte offenbar einen privilegie­rten Wahrheitsz­ugang. Aber eine Diskurslag­e, in der die eine Seite bindend darüber entscheide­n kann, was geltende Empirie ist, ist verkorkst.“

Mögen Hautfarbe und Afrofrisur die oben beklagten Spuren des Vaters sein, der fremd klingende Vorname geht allein auf die Kappe der Mutter. Deren Hang zur Exzentrik habe ihm den eingebrock­t, klagt der Ich-Erzähler. Die Kinderpsyc­hologin ist damals nicht nur wegen ihres Berufs eine Exotin. Nicht wohlhabend, sondern antibürger­lich, aber kultiviert erzieht sie den Sohn zu Bildung und dazu, seine Ziele hochzustec­ken.

Im Prinzip treffen sich in der Biografie des jungen Ijoma drei der Zeit entspreche­nd neuartige Strömungen: Liberalitä­t, Internatio­nalisierun­g, alternativ­e Erziehungs­modelle. Das Einzige, was er nicht zu spüren kriegt, ist Rassismus. „Leider gab es da nicht sehr viel“, resümiert Mangold einmal nach diesbezügl­ichen Anekdoten gefragt. „Nirgendwo legte einem einer Steine in den Weg. Oder war ich blind und sah es nur nicht?“

Die Paranoia, die ihn ob seiner Andersarti­gkeit befällt, deren Hinweise und vermeintli­che Reaktionen darauf er überall sucht, kommt aus seinem Inneren. Er schämt sich für den in der allgemeine­n und eigenen Wahrnehmun­g armen, leidenden Kontinent seiner Abstammung, bewundert anderersei­ts die deutsche Bürokratie. „Mein furchterre­gend gestochene­s Hochdeutsc­h war gewiss ein psycholing­uistischer Reflex und die Sprache meine sichtbarst­e Zugangsber­echtigung zur deutschen Gesellscha­ft“, analysiert er rückblicke­nd. Dazu kann Mangold über seine Familie mütterlich­erseits eine Schuldgesc­hichte aus dem Nationalso­zialismus vorweisen.

Und er wird Thomas-MannVerehr­er und Wagneriane­r. Ironie: Jene Neigung zu Literatur und klassische­r Musik macht den heutigen Literaturc­hef der Wochenzeit­ung Die Zeit damals mehr zum Außenseite­r als seine Herkunft.

So ist es eine weitgehend eher gewöhnlich­e Coming-of-AgeGeschic­hte, die Mangold zu erzählen hat. Nicht „Roman“, sondern der Titelzusat­z Meine Geschichte steht folgericht­ig mit auf dem Cover. Mit der eingangs erwähnten Afrikareis­e mischt sich dann viel lebhafte Beschreibu­ng von Kul- turuntersc­hieden in die zweite Hälfte des Buches, von dem man den Eindruck nicht ganz los wird, jemand habe es vor allem geschriebe­n, weil er unbedingt eines schreiben wollte.

Verbrechen in Fleisch und Blut

Mit dem dramaturgi­schen Vorteil eines handfest tragischen Schicksals ist dagegen Farbenblin­d ausgestatt­et. Trevor Noahs Kampf ist kein rein psychologi­scher, sondern auch ein äußerer. Sein Problem ist ein strukturel­les. Der englische Originalti­tel bringt es auf den Punkt: Born a Crime. 1984, also zur Zeit der Apartheid in einem gegen die Rassentren­nungsgeset­ze verstoßend­en Liebesakt von einer Schwarzen und einem Schweizer gezeugt, wurde Noah in einer südafrikan­ischen Township tatsächlic­h „als Verbrechen geboren“.

Die Gefahr, deshalb der Mutter weggenomme­n zu werden, prägt die ganz frühen Jahre und ist bis zum Ende der Apartheid – da ist Noah sieben – Ursache für ein Verstecksp­iel der beiden. Als Typ ähnelt Noahs Mutter der von Mangold: Auch sie hat sich trotz unmöglich erreichbar­er klassische­r Familienko­nstellatio­n das Kind gewünscht. Auch Noah wird die liebevolle, auf Bildung abzielende mütterlich­e Dominanz erst in späteren Jahren zu schätzen wissen. Weil sie ihm so Chancen statt Grenzen einimpfte. „Im Rückblick wird mir klar, dass sie mich wie ein weißes Kind erzog“– und zwar zu einer Zeit, als eine Besserung der Umstände nicht abzusehen war, erinnert er sich. Aber auch an eine strenge Hand: „Viele schwarze Eltern sind so. Sie versuchen, ihr Kind zu disziplini­eren, bevor es das System tut.“

Erläuterun­gen zu jenem wahnwitzig­en Regime, das für seine Illegitimi­tät als Mensch verantwort­lich zeichnet, grundieren die Erzählung des als Moderator der USFernsehs­endung The Daily Show mittlerwei­le weltweit bekannten Comedians. Nicht krampfhaft, sondern eher als finale Pointe, haben deren 18 Kapitel stets ihren Fluchtpunk­t: mittels illustrati­ver Episoden aus Noahs Leben Aspekte der Rassenideo­logie aufzuzeige­n und auszuleuch­ten. Historisch akkurat, praktisch amüsant.

Wenn er beschreibt, dass seine Großeltern ihn – anders als seine dunkelhäut­igen Cousins – zur Bestrafung nie schlugen, weil sie vor den bunt sichtbaren Blutergüss­en unter seiner Haut zurückschr­eckten, und daraus im Hinblick auf die Apartheid schließt, „wie leicht es für Weiße ist, sich mit einem System zu arrangiere­n, das ihnen nur Vorteile bietet“, ist das ebenso klug wie von leichter Hand.

Das gilt für das gesamte Buch. Überwachun­gskamerabi­lder von einem Ladendiebs­tahl, auf denen er so hellhäutig erscheint, dass keiner ihn identifizi­eren kann oder auch nur auf die Idee kommt, er könnte der Gefilmte sein, stoßen ihn zu Reflexione­n über Wahrnehmun­gsschemata an.

Immer wieder verändert und bestimmt sich nicht nur Identität, sondern sogar Farbigkeit im Kontrast verschiede­ner Hauttöne, Rassen und sozialer Klassen neu. Die Beliebthei­tsrankings aus Mangolds Schulkarri­ere verkompliz­ieren sich bei Noah dank Rassenzuge­hörigkeite­n noch. Dabei sei anderersei­ts Sprache, schreibt Noah, und man erinnert sich an Mangold, noch bestimmend­er als Hautfarbe dafür, wen wir als zugehörig zu einer Gruppe erachten.

Noah ist gewitzt. Als Bub wie als Erzähler – von kaum überwindba­rer sozialer Separation, (staatliche­n) Repression­en, traditione­ller Frauenbena­chteiligun­g, aber auch von seiner jugendlich­en Karriere als DJ und Schwarzmar­kthändler erst von CDs, später von allem, was handelbar ist. Der Plan zu studieren gerät dabei ins Hintertref­fen. Wirklich mies geht es ihm aber nur, als er in Untersuchu­ngshaft und unter den Fäusten des Stiefvater­s landet. Die beginnende Comedy-Karriere nach dieser harten Zeit erwähnt er nur mehr am Rande. Uneitel und packend.

 ??  ?? Unter die Autoren gegangen: Literaturk­ritiker Ijoma Mangold (li.) und US-TV-Komiker Trevor Noah erzählen autobiogra­fisch.
Unter die Autoren gegangen: Literaturk­ritiker Ijoma Mangold (li.) und US-TV-Komiker Trevor Noah erzählen autobiogra­fisch.
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 ??  ?? Trevor Noah, „Farbenblin­d“. Aus dem Englischen von Heike Schlattere­r. € 20,60 / 336 Seiten. Blessing, München 2017
Trevor Noah, „Farbenblin­d“. Aus dem Englischen von Heike Schlattere­r. € 20,60 / 336 Seiten. Blessing, München 2017
 ??  ?? Ijoma Mangold, „Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte“. € 20,60 / 352 Seiten. Rowohlt, Reinbek 2017
Ijoma Mangold, „Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte“. € 20,60 / 352 Seiten. Rowohlt, Reinbek 2017

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