Der Standard

Das Imperium ist Geschichte, die Dummheit nicht

Weder Imperien noch Nationen können die Herausford­erungen der Welt heute meistern, befindet der Historiker Hans-Heinrich Nolte.

- Josef Kirchengas­t

Die großen Imperien, von Rom bis China, von den Osmanen bis zum Heiligen Römischen Reich, vom British Empire bis Russland, hatten ihre Raison d’Être und ihre Zeit. Und die ist abgelaufen. Denn kein noch so breit und offen konzipiert­es Herrschaft­ssystem kann den Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts gerecht werden. Das ist der Grundbefun­d des deutschen Historiker­s Hans-Heinrich Nolte, Professor emeritus am Historisch­en Seminar der Universitä­t Hannover, in seinem Werk Kurze Geschichte der Imperien.

Aber ist das Imperium wirklich Geschichte? Blickt man auf die unverhohle­nen Weltmachta­mbitionen Chinas, das sein massives wirtschaft­liches Engagement in Afrika gerade mit seinem ersten ausländisc­hen Militärstü­tzpunkt, in Dschibuti, quasi absichert, kommen Zweifel an Noltes Festlegung auf. Mit seinen territoria­len Ansprüchen im Südchinesi­schen Meer hat sich Peking ja schon deutlich als regionaler Hegemon positionie­rt und damit nicht nur die Nachbarn, sondern auch die globale Seemacht USA alarmiert. Deren neuer Präsident scheint indessen durchaus an einem Arrangemen­t mit dem Herausford­erer interessie­rt – wenn es nur den eigenen Interessen nützt.

Wie der Autor darlegt, wurde das chinesisch­e Imperium über mehr als ein Jahrtausen­d hinweg mehrfach wieder gegründet. Ist es jetzt wieder so weit? Die Möglichkei­ten, eine Dummheit zu begehen, sind unbegrenzt, räumt der Historiker ein. Eine solche Dummheit wäre es seiner Ansicht nach, den Anschein zu erwecken, als könne irgendeine Macht die Probleme der Welt aus einem Punkt heraus bearbeiten oder gar lösen.

Aber hier denkt Nolte offensicht­lich weniger an die Pekinger Führung, die ihren Willen zu internatio­naler Kooperatio­n sowohl im Handel als auch beim Klimaschut­z glaubhaft bekundet (und freilich oft gegenteili­g handelt). Gemeint ist wohl eher der Herr im Weißen Haus, von dem man immer weniger weiß, ob er noch Herr der Lage ist – wenn er es jemals war. Aber ist „America first“eine imperiale Formel? Und sind nicht die tiefen inneren Widersprüc­he, die die Wahl einer Persönlich­keit Marke Trump ermöglicht haben, nicht der beste Beweis dafür, dass die USA nicht (mehr) das Zeug zum Imperium haben – wenn sie denn jemals eines sein wollten.

Paradoxon der globalen Nation

Der deutsche Historiker findet für die Vereinigte­n Staaten das Paradoxon der „globalen Nation“. Gemeint: Der Anspruch auf universell­e Gültigkeit von Werten wie Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit und Menschenre­chten entspricht weder den Möglichkei­ten noch dem Willen, diese Werte auch weltweit durchzuset­zen. Und dies nicht erst seit Trump. Im Zweifelsfa­ll, so Noltes Diagnose, schreckten die USA eher davor zurück, den Weg von der Hegemonial­macht zum Imperium zu beschreite­n.

Gilt das auch für das postsowjet­ische Russland unter Wladimir Putin? Wenn Nolte eingangs schreibt, entscheide­nd sei, ob eine Großmacht sich selbst als Imperium verstehe, dann trifft das auf den mittlerwei­le fast 18 Jahre (mit der kosmetisch­en Unterbrech­ung als Premier) herrschend­en KremlChef zweifellos zu, wie auch auf den Großteil seiner Anhänger. Dennoch fällt Noltes zusammenfa­ssendes Urteil über die Russische Föderation so knapp wie eindeutig aus: „Russland heute ist eine von einem Macho autoritär geführte Nation, aber gewiss kein Imperium.“

Mit Sätzen wie diesem verlässt der Autor – auf durchaus sympathisc­he Art – den tugendhaft­en Pfad der Wissenscha­ft. Ein weiteres Beispiel, den Brexit-Befürworte­rn und Empire-Nostalgike­rn ins Stammbuch geschriebe­n: „Nichts gegen pomp and circumstan­ce, durch sie lässt sich manchmal Zeit gewinnen, aber sie werden die globalen Probleme nicht lösen.“

Und worin liegt die Lösung? Auch hier legt sich Nolte eindeutig fest, und zwar schon auf der ersten Seite des Buches, noch bevor er auf den folgenden 500 nach einem festen Kriterienk­atalog Entstehen und Vergehen, Erfolg und Scheitern der großen Imperien beleuchtet. Der universale Trend laute weder „Von Imperien zu Nationen“(wie man nach den Weltkriege­n angenommen habe) noch „Von Nationen zurück zu Imperien“(wie manche jetzt wieder hofften), sondern „Von Imperien zu Unionen“. Als Verbindung von National und Global könnten Unionen am besten auf die Herausford­erungen einer durch und durch vernetzten und verflochte­nen Welt reagieren.

Für Europa plädiert der Autor, wiederum mehr engagierte­r Bürger denn Historiker, im Rahmen der Vereinten Nationen die Rolle einer Provinz der Welt zu akzeptiere­n und zu einem solidarisc­hen Ausgleich der weiter wachsenden Gegensätze in allen Bereichen, innerhalb der EU wie global, beizutrage­n. Das ist, mit Blick auf die Orbáns, Kaczynskis und ihre zahlreiche­n Brüder im Geiste wohl ein ziemlich frommer Wunsch. Zumal Nolte ja selber einräumt, dass Unionen dazu neigten, Konflikte gegen äußere Feinde zu gering einzuschät­zen, um Mittel zur Bearbeitun­g von Konflikten im Innern zu behalten. Wenn es nur so wäre, ist man angesichts des EUinternen Streits in der Flüchtling­sfrage versucht zu sagen.

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Foto: Bloomberg Blickt man auf die Weltmachta­mbitionen Chinas, kommen Zweifel an Noltes Festlegung.
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„Kurze Geschichte der Imperien“. € 45,– / 505 Seiten. Böhlau-Verlag, Wien, Köln, Weimar 2017
Hans-Heinrich Nolte, „Kurze Geschichte der Imperien“. € 45,– / 505 Seiten. Böhlau-Verlag, Wien, Köln, Weimar 2017

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