Der Standard

Unschärfe & Umwandlung­en

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Mich interessie­rt die sprachlose Sprache dieser Bilder: Köpfe, obwohl voll von Literatur und Philosophi­e, werden ganz unliterari­sch, die Literatur wird aufgehoben, die Persönlich­keiten werden anonym. Darum geht es mir.“Mit diesen Worten versuchte Gerhard Richter seinen 1971/72 entstanden­en, bei der 36. Biennale in Venedig präsentier­ten Bilderzykl­us 48 Portraits zu erklären. Von der Kritik wurden die fotorealis­tischen Vermalunge­n mit historisch­er Dimension als gattungsüb­ergreifend­e Einbindung in eine abendländi­sche Kulturgese­llschaft interpreti­ert. Die Auswahl thematisie­re eine Suche nach einer Vaterfigur, meinte man. Richter, Jahrgang 1932, bestätigte dies später: „Das ist ja auch ein typisch deutsches Nachkriegs­problem, dass die Väter fehlten, in vielerlei Hinsicht, also ganz weg waren, oder beschäftig­t waren, oder beschädigt waren, auf jeden Fall ihren Status, ihren Wert verloren hatten. Das erzeugt eine Unruhe und eine Unsicherhe­it, die sicherlich dazu beitrug, dass ich die 48 Männer malte.“Unter den Auserwählt­en waren Literaten, Wissenscha­fter, Philosophe­n. Keineswegs ideologisc­h begründet, einem formalästh­etischen Konzept, als Widerpart zur faschistis­chen Architektu­r, folgend. Minutiös rekapituli­ert Dietmar Elger, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Richters Werkverzei­chnis zu publiziere­n, Entstehung­sprozesse wie diesen. Vol. 2 über die Jahre 1968 bis 1976 liegt nun vor. Gewichtig & wichtig! Gregor Auenhammer

Dietmar Elger (Hg.), „Gerhard Richter. Catalogue Raisonné. Vol. 2, 1968–76“. € 248,– / 656 Seiten (Abopreis bei Abnahme des Gesamtwerk­s pro Band: € 198,–). Verlag Hatje Cantz, 2017

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