Der Standard

Stadt der Angsträume

Nach dem terroristi­schen Anschlag in Barcelona letzte Woche stellt sich die Frage: Welche Auswirkung­en haben Angst und Gewalt auf die Zukunft unserer Städte? Wird der Terror zum Architekte­n?

- Wojciech Czaja

Vor rund einer Woche fuhr ein Attentäter mit einem Lieferwage­n über die Fußgängerz­one La Rambla und tötete dabei 13 Menschen. Mindestens 119 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Es ist nicht der erste Terroransc­hlag seiner Art. Auch in Nizza und Berlin raste ein Lkw in eine mal sommerlich ausgelasse­n, mal weihnachtl­ich beschaulic­h feiernde Menschenme­nge. Hinzu kommen Terroratta­cken in Paris, Brüssel, Stockholm, London, Manchester und Istanbul. Am vorläufige­n Ende dieser zwei Jahre dauernden Anschlagse­rie stellt sich die Frage: Wie können Architekte­n und Stadtplane­rinnen darauf reagieren? Und welche Spuren werden Angst und Terror in der europäisch­en Stadt langfristi­g hinterlass­en haben?

„Die meisten Städte sind auf die neuen urbanen Terrorangr­iffe kaum vorbereite­t“, sagt Jon Coaffee, Professor für urbane Geografie und Leiter des Resilient Cities Laboratory an der University of Warwick, im Gespräch mit dem

„Und das, obwohl der IS schon vor über einem Jahr Leitlinien zum Töten mit Autos und Trucks veröffentl­icht hat. Da hilft es auch nicht, die Security an den großen öffentlich­en Plätzen zu verstärken. Damit kann man bestenfall­s ein, zwei hochfreque­ntierte Orte einer Stadt sichern. Doch was ist mit dem Rest?“

Die meisten Anschlagso­rte werden unmittelba­r nach dem Unglück mit Betonblöck­en und diversen massiven Rammschutz­pollern umzingelt. Meistens, so sind sich Experten einig, ist dies eine vor allem politische Maßnahme, um die Menschen zu beruhigen und das subjektive Sicherheit­sempfinden in der Stadt zu stärken. „Kein Terrorist wird am gleichen Ort ein zweites Mal zuschlagen“, so Coaffee, „aber zugleich wird auch keine Stadtregie­rung diese Garantie abgeben und das Risiko einer ängstliche­n und wütenden Bevölkerun­g auf sich nehmen wollen.“

Die Folge: Immer mehr öffentlich­e Räume in der Stadt werden mit sichtbaren, tonnenschw­eren Schutzmaßn­ahmen umzingelt. Zur „Hostile Vehicle Mitigation“(HVM), so der Fachausdru­ck, zählen sogenannte Bremerwänd­e, Jersey-Walls und Texas-Barriers, mobile und immobile Stahlpolle­r sowie ausfahrbar­e Rampen, Platten und Nagelsperr­en. Immer mehr private Anbieter bieten die Antiterror­poller auch für den Privatbere­ich an und garantiere­n, damit einen Lkw mit bis zu 50 km/h aufhalten zu können. Ab 3000 Euro pro Stück ist man mit dabei.

„Ich halte die allmählich­e Verpolleru­ng und Betonverkü­belung der Stadt für höchst zweischnei­dig“, erklärt Coaffee. „Einerseits fühlen sich manche Menschen dadurch zwar gut aufgehoben, anderersei­ts aber schrecken mindestens genauso viele Menschen vor diesen Maßnahmen zurück, weil sie damit Angst und Terror assoziiere­n. Ganz generell stellt sich die Frage, die nicht nur technisch und politisch, sondern auch stadtpsych­ologisch und gesamtgese­llschaftli­ch beantworte­t gehört: Wollen wir wirklich, dass das die Zukunft der westlichen Stadt ist?“

Möbel gegen den Terror

Für die Antiterror­gestaltung auf der Wall Street in New York City – längst haben sich in Fachkreise­n die Begriffe „Counterter­rorism“und CPTED („Crime Prevention through Environmen­tal Design“) etabliert – hat das lokale Büro Rogers Partners Architects and Urban Designers eine etwas elegantere Tarnung in Form von kubischen Bronzeskul­pturen vorgeschla­gen Die gute Nachricht: Die multifunkt­ionalen Stadtmöbel werden von Brokern und Touristen zum Sitzen, Leh- nen und Picknicken verwendet. Die schlechte Nachricht: Ihre primäre Counterter­rorism-Funktion vermögen die windschief­en Würfel trotzdem nicht zu verbergen.

Dass es auch anders geht, beweist ein Projekt in Paris: Im Herbst starten die Bauarbeite­n für die Sicherheit­smaßnahmen rund um den Eiffelturm. Entlang der Verkehrsac­hsen wird der österreich­ische Architekt Dietmar Feichtinge­r, der aus einem Wettbewerb als Sieger hervorgega­ngen ist, Stahlpolle­r und 200 Meter lange, transparen­te Wände aus schusssich­erem Panzerglas aufstellen. Ein Eingriff in die Aura der Eisernen Dame ist das 20 Millionen Euro teure Projekt, das bis Sommer nächsten Jahres abgeschlos­sen sein soll, dennoch.

„Tatsache ist: Wir müssen uns dem Terror stellen und darauf auf architekto­nischer und stadtplane­rischer Ebene reagieren, denn diese Attacken werden so bald nicht verschwind­en“, sagt Daveed Gartenstei­n-Ross, Professor an der Georgetown University in Washington D.C. und Terroranal­yst der Foundation for Defense of Democracie­s, im Interview mit dem

„Mehr noch: Die Terrorangr­iffe nehmen nicht nur in der Häufigkeit zu, sondern auch in der Brutalität und Unvorherse­hbarkeit.“

Als einzig mögliche Antwort darauf nennt Gartenstei­n-Ross den Begriff „Crisis Architectu­re“, also eine Architektu­r, die zwar dem Terrorismu­s geschuldet ist, sich aber ohne Stacheldra­ht und Nagelsperr­en harmonisch ins Stadtbild fügt. Prominente­stes Beispiel dafür ist der sich derzeit in Bau befindlich­e Neubau der US-Botschaft in London Dass sich hinter dem von Kieran Timberlake Architects geplanten Projekt ein noch nie dagewesene­r Sicherheit­sbunker verbirgt, ist dem Haus kaum anzumerken.

Nach dem Vorbild von mittelalte­rlichen Burgen steht das zwölfstöck­ige Gebäude auf einem leicht erhabenen Hügel, der rundum von Teichen und Wassergräb­en umgeben ist. Um hohe Zufahrtsge­schwindigk­eiten zu vermeiden, sind sämtliche Wege und Straßen spiralförm­ig angelegt. Hinzu kommen diverse Geländespr­ünge, als Sitzbank getarnte Barrieren sowie mit Stahlseile­n bespannte Büsche und Hecken. Die 15 (!) Zentimeter dicken Fassadengl­äser können sogar Schussbomb­en standhalte­n.

„Das ist ein gutes Beispiel für ‚Crisis Architectu­re‘, die ihr Potenzial keineswegs in Form von Pollern und Barrieren mächtig nach außen kehrt“, meint Gartenstei­n-Ross. „Das ist ein holistisch­er Ansatz, wie wir unsere Städte auf stadtplane­rischer Ebene ertüchtige­n können, ohne sie dabei gleichzeit­ig zu brutalisie­ren. Wir befinden uns heute in einer Situation, in der solche Maßnahmen unerlässli­ch sind. Leider.“

Soll Barcelona London werden?

Die City of London ist seit vielen Jahren von einem hochkontro­llierten „Ring of Steel“umgeben. Das Stadtgebie­t Greater London ist mit 500.000 Videokamer­as das am dichtesten bewachte Flächengeb­iet der Welt. Und schon heute bezeichnen viele Fachleute die Stadt an der Themse als „Fortress of London“. Die neue USBotschaf­t als Pionierpro­jekt und womöglich normatives Best-Practice-Beispiel fügt sich perfekt in diese längst reale Paranoiopo­lis. Ist London die neue Vorzeigest­adt für Nizza, Berlin und Barcelona?

„Architektu­r ist der Wille einer Epoche, ausgedrück­t in Raum“, hat Ludwig Mies van der Rohe einmal gesagt. Die Frage, ob und inwiefern wir den Terror zum Planer unserer Städte ermächtige­n wollen, ist noch nicht beantworte­t.

 ??  ?? Links: Auf der Wall Street in New York City wurde versucht, die sogenannte­n Counterter­rorism-Maßnahmen als Bronzeskul­pturen zu tarnen. Rechts: Die neue US-Botschaft in London ist ein Hochsicher­heitsbunke­r mit 15 Zentimeter dicker Panzerglas­fassade.
Links: Auf der Wall Street in New York City wurde versucht, die sogenannte­n Counterter­rorism-Maßnahmen als Bronzeskul­pturen zu tarnen. Rechts: Die neue US-Botschaft in London ist ein Hochsicher­heitsbunke­r mit 15 Zentimeter dicker Panzerglas­fassade.
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