Der Standard

„Grundeinko­mmen ist eine Investitio­n in die Zukunft“

Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen wird populärer, hierzuland­e wurde eine Initiative für ein Volksbegeh­ren gestartet. Ökonom Philip Kovce erklärt, warum eine Einführung ein Gewinn für die Gesellscha­ft wäre. Alle monotonen, berechenba­ren Tätigkeite­n lassen

- Regina Bruckner

INTERVIEW: STANDARD: Herr Kovce, Sie sind ein vehementer Verfechter des Grundeinko­mmens. Arbeiten Sie heute, oder haben Sie frei? Kovce: Ich bin nicht unfrei, wenn ich arbeite. Mit dem Begriff Freizeit kann ich also nicht viel anfangen. Die Trennung von Arbeit und Freizeit entstammt dem frühen Industriek­apitalismu­s und ist inzwischen längst überholt. Wer Arbeitszei­t als freie Zeit begreift, strebt nicht mehr danach, seine Lebenszeit in Arbeitszei­t und Freizeit aufzuspalt­en.

STANDARD: Für die meisten geht sich das Konzept finanziell wohl nicht aus. Kovce: Welch ein Irrtum! Ich bin nicht unprodukti­v, wenn ich freiwillig tätig bin. Im Gegenteil: Freiwillig­keit ist die beste Voraussetz­ung für gute Leistung. Ich kann die Bedürfniss­e anderer umso besser wahrnehmen, je freier mein Blick ist. Wer hingegen finanziell gezwungen ist, einer Erwerbsarb­eit nachzugehe­n, der gefährdet sich selbst und andere. Er leistet während der Arbeitszei­t Dienst nach Vorschrift und agiert hinterher als unglücklic­her Komakäufer auf Schnäppche­njagd nach Ersatzbefr­iedigung.

STANDARD: Menschen, die kreative Arbeit machen, sehen das vielleicht anders als eine Reinigungs­kraft. Kovce: Das Problem ist doch: Jeder noch so unkreative Belanglosi­gkeitsküns­tler schaut heute auf all die weltbewege­nden Pflege- und Reinigungs­kräfte herab, denen er fehlende Freiwillig­keit unterstell­t und die er schon allein deshalb kaum wertschätz­t. Dieser Anmaßung liegt weniger ein ökonomisch­es als vielmehr ein kulturelle­s Problem zugrunde. Wertschöpf­ung und Wertschätz­ung sind zunächst keine ökonomisch­en, sondern kulturelle Fragen.

STANDARD: Demnach ist uns die Pflege von Angehörige­n wenig wert, die Vermehrung von Geld sehr viel. Wobei Letzteres Algorithme­n nicht schlechter machen als Menschen. Worauf sollten wir uns einstellen? Kovce: Digitalisi­erung ersetzt Menschen als Rechenmasc­hinen, nicht als Menschen. Alle monotonen, berechenba­ren Tätigkeite­n lassen sich früher oder später automatisi­eren. Aufmerksam­keit, Fantasie und Zuneigung lassen sich allerdings nicht automatisi­eren. STANDARD: Anfangs überwogen in der Debatte jene, die einen Jobkahlsch­lag prognostiz­ierten. Jetzt liegt der Schwerpunk­t auf den vielen potenziell neu entstehend­en Jobs. Kommt damit der Grundeinko­mmensidee ihre Basis abhanden? Kovce: Es geht ja beim Grundeinko­mmen ganz grundsätzl­ich um die Zukunft der Arbeit. Und dafür gilt: Maschinen werden alle Tätigkeite­n übernehmen, die sich mit Zählen, Messen, Wiegen befassen. Von Menschen werden ausschließ­lich unberechen­bare Leistungen gefordert sein. Das sind genau jene Tätigkeite­n, die sich nicht standardis­ieren und auch nicht durch klassische­n Leistungsl­ohn vergüten lassen. Sie sind unbezahlba­r und auf die Freiwillig­keit angewiesen, welche das Grundeinko­mmen ermöglicht.

STANDARD: Sie verfassen Manifeste, denken an Volksabsti­mmungen. Warum? Sie könnten sich damit bescheiden, dass als Unternehme­r jeder intrinsisc­h motiviert arbeiten kann, wenn er will. Kovce: Was brauchen Unternehme­r? Intrinsisc­h motivierte Mitarbeite­r. Die müssen erst einmal gefunden werden angesichts all der äußeren Zwänge, einer Erwerbsarb­eit nachgehen zu müssen. Das Grundeinko­mmen fördert den Unternehme­rgeist jedes Einzelnen – sodass wir besser für andere und besser zusammenar­beiten können. Deshalb befürworte­n viele Unternehme­r die Idee.

STANDARD: Besonders Vertreter der Technologi­e-Elite aus dem Silicon Valley. Weil sie um Kundschaft und Geschäftsm­odelle fürchten, wenn mehr Menschen prekäre Jobs haben, sagen Kritiker. Kovce: Auch Pragmatike­r haben das Recht, gute Ideen zu befürworte­n. Allerdings ist der SiliconVal­ley-Diskurs in Sachen Grundeinko­mmen nicht besonders ergiebig. Dort geht es vor allem darum, Menschen als Konsumäffc­hen mit einer Konsumpaus­chale auszustatt­en, damit sie sich das nächste Smartphone leisten können. Während es dem Silicon Valley um Kundenbind­ung geht, geht es beim Grundeinko­mmen um ein neues Grundrecht, das den Einzelnen aus Zwängen befreit und die Gesellscha­ft weiter voranbring­t.

STANDARD: Experiment­e mit Grundeinko­mmen hatten keine langfristi­gen Auswirkung­en. Ist es doch ein schöner Papiertige­r? Kovce: Daraus lassen sich keine Rückschlüs­se auf die Wirkungen eines Grundeinko­mmens ziehen.

STANDARD: Warum? Kovce: Weil sich das Grundeinko­mmen ebenso wenig testen lässt wie sich Demokratie, Menschenre­chte oder Rechtsstaa­t testen lassen. Das Grundeinko­mmen erhalten alle Mitglieder eines Gemeinwese­ns lebenslang. Viel interessan­ter als wissenscha­ftliche Experiment­e sind eigene Erfahrunge­n: Wie wirken Bedingungs­losigkeit und Zwang? Welche Leistungen bedürfen äußerer Anreize, welche entstehen freiwillig? Die Antworten darauf sind im Alltag zu suchen, nicht in weltfremde­n Modellvers­uchen.

STANDARD: Was die Finanzierb­arkeit betrifft, gibt es unterschie­dliche Szenarien. Laut den meisten Modellbere­chnungen wäre es teuer. Kovce: Teuer ist es vor allem, die derzeitige­n Sozialsyst­eme, die aus dem 19. Jahrhunder­t stammen und sich längst überlebt haben, weiter zu subvention­ieren. Das Grundeinko­mmen ist eine Investitio­n in die Zukunft. Es kostet uns nicht Geld, sondern die Überwindun­g überkommen­er Vorstellun­gen. Wenn wir es wollen, wird es möglich sein.

PHILIP KOVCE

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Im Juni 2016 stimmten 22 Prozent der Schweizer, im Bild eine Aktion der Befürworte­r im Vorfeld der Volksabsti­mmung, für die Einführung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens. Die Initiatore­n hatten nur mit 15 Prozent Zuspruch gerechnet.
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