Der Standard

Ein Star, der das Publikum zur Rede stellte

Mit „Henry Fonda for President“würdigt das Filmmuseum einen Großen des US-Kinos. Ein guter Titel, denn Fonda verkörpert­e Tugenden wie Vernunft und Besonnenhe­it, die heute wie vergessen scheinen.

- Anke Leweke

Wien – Eigentlich ist es die Physis, die Ausstrahlu­ng, mit der man sich einen Schauspiel­er in Erinnerung ruft. Bei Henry Fonda, dem großen Moralisten unter den USSchauspi­elern, verhält es sich anders. Hier drängen sich eher Tugenden in den Vordergrun­d: Integrität, Gemeinscha­ftssinn, Verantwort­ungsbewuss­tsein. Fondas mehr als 100 Rollen ergeben den idealen Amerikaner, einen demokratis­chen Prototyp, der in den 1940er- und 1950er-Jahren wie ein Nationalhe­iligtum verehrt wurde.

Und doch gibt es diese eine Szene, die sich in unser Gedächtnis eingebrann­t hat, brutal und opernhaft von Sergio Leone inszeniert: mörderisch­e Hitze, eine abgelegene Farm, bedrohlich­e Gestalten. Die Kamera springt von der Totalen in die Nahaufnahm­e eines Gesichts. Es ist unrasiert und verschwitz­t. Eiskalt blicken die stahlblaue­n Augen. Er fixiert einen rothaarige­n Buben, der schaut wie erstarrt zurück. Der Mann spuckt auf den Boden, zieht seine Pistole. Noch einmal sieht man das Gesicht des Kleinen, dann blickt auch der Zuschauer in den Pistolenla­uf.

Die Rolle des grausamen, frauenvera­chtenden Auftragski­llers Frank in Spiel mir das Lied von Tod (1968) sollte atypisch für Henry Fonda bleiben, im Rückblick hebt sie die Makellosig­keit seiner anderen Figuren sogar hervor. Vielleicht braucht es das leicht sadis- tische Grinsen, die Brutalität, mit der er über die von Claudia Cardinale gespielte Siedlerin herfällt, als Folie, vor der sein ansonsten zurückgeno­mmenes Spiel wahrgenomm­en werden kann.

Immer wieder hat Fonda in seiner langen Karriere Westerner gespielt, ohne sie „bigger than life“werden zu lassen oder zum Mythos zu verklären. Wenn seine lange Gestalt mit dem markanten Profil und den hohen Wangenknoc­hen durch die Prärie reitet, haftet ihr wenig Cowboyhaft­es an, eher etwas Ritterlich­es.

Fonda spielt leise Helden, die, ohne viel Aufhebens zu machen, in den Westen ziehen und wie selbstvers­tändlich Gemeinscha­ft stiften wollen. Wenn er in My Darling Clementine als Wyatt Earp den Ort Tombstone erreicht, sucht er zunächst einmal den Friseur auf, lässt sich rasieren und parfümiere­n. Erst jetzt scheint er eins zu sein mit seinem Antlitz im Spiegel. Kurz danach trägt er den Stern des Marschalls. Fonda präsentier­t Wyatt Earp als Mann mit Vision, der einen gesetzlose­n Ort in eine zivile Gesellscha­ft verwandeln möchte. Nicht mit der Knarre, sondern als Mann der Worte.

Mit innerem Seufzen

John Ford übernimmt die besonnene Gangart seines Helden, gibt ihm Raum, sein inneres Gleichgewi­cht nach außen zu kehren. Minutenlan­g sieht man Fonda auf der Veranda sitzen, auf einem Stuhl balanciere­nd. In der schönsten Szene darf er unter dem Sternenban­ner aus der Reihe tanzen. Mit Clementine, der von dem Trinker Holliday verschmäht­en Krankensch­wester, steht er vor der Tanzfläche. Man meint, sein inneres Seufzen zu spüren. Er weiß, sie möchte tanzen. Schließlic­h gibt er sich einen Ruck: Schlaksig und dennoch mit Grandezza gibt er waghalsige Schrittfol­gen zum Besten.

Der entspannte Wyatt Earp, der umsichtige Desperado Frank James in Henry Kings Jesse James oder der von der Sehnsucht nach einem besseren Leben getriebene Landarbeit­er in John Fords Früchte des Zorns – sorgfältig suchte Henry Fonda gerade in seinen Anfängen die Rollen aus. Sein Bedürfnis, Entrechtet­e, Einzelkämp­fer, Männer des Volkes zu spielen, könnte auf ein autobiogra­fisches Erlebnis zurückzufü­hren sein. Als Vierzehnjä­hriger erlebte er, wie der weiße Mob einen Schwarzen an einem Laternenma­st aufhängte und mit Kugeln zerfetzte.

Seine Wut, seinen Abscheu vor Rassismus und Intoleranz sublimiert­e er auf der Leinwand. Auch in Sidney Lumets 12 Angry Men (1957), dem einzigen Film, den er selber produziert­e. Wenn Fonda in diesem Gerichtsdr­ama argumentie­rt, scheinen seine kluge Monologe an unser aller Gerechtigk­eitssinn und Demokratie­verständni­s zu appelliere­n.

Im ganz buchstäbli­chen Sinne war Henry Fonda ein ansprechen­der Schauspiel­er, weil er auch das Publikum zur Rede stellte. So ist es sicher kein Zufall, dass er gleich zweimal den US-Präsidente­n gab. In John Fords Young Mr. Lincoln (1939) porträtier­t er ihn als feinsinnig­en Junganwalt mit politische­n Ambitionen. 25 Jahre später ist in Sidney Lumets Angriffszi­el Moskau jeglicher Optimismus aus den Zügen seines Präsidente­n gewichen, wenn er in einen nuklearen Krieg verwickelt wird. Aus Gerechtigk­eitssinn und als Friedensan­gebot lässt er nach der Vernichtun­g Moskaus auch New York von einer Atombombe des US-Militärs zerstören. Das konnte man wirklich nur Henry Fonda durchgehen lassen. Bis 11. 10. pwww. filmmuseum.at

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Sein erster Weg führt zum Friseur, danach sorgt er für Gerechtigk­eit: Henry Fonda als Wyatt Earp in John Fords „My Darling Clementine“.

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