Der Standard

Flüchtling­e und die Obsession für Sperrzonen

Das vermeintli­ch Eigene braucht das Fremde qua Definition zu seiner Selbstbest­immung. Dieses wird durch Identitäts­merkmale konstruier­t, und daraus resultiert letztlich die Forderung an den Fremden: „Pass dich an! Sei wie wir!“

- Christian Kohner-Kahler

In wenigen Wochen ist es wieder so weit: Uns naht die Qual der Wahl. Was den kommenden Urnengang besonders qualvoll macht, ist die Tatsache, dass die Mehrheit der kandidiere­nden Parteien und Listen bloß mit zwei Ködern auf Stimmenfan­g geht: mit dem Wurm der Sicherheit und der immer noch lebendigen Larve der Identität. Während das Thema Sicherheit manifest die Debatten beherrscht und allerorten beschworen wird – und längst nicht mehr bloß vom rechten Rand des politische­n Spektrums –, begegnet uns der Leitbegrif­f Identität mehr oder weniger dezent verborgen.

Auf der Vorderbühn­e jedoch wird das Problem der Integratio­n und mangelnden Anpassungs­willigkeit zum Besten gegeben.

Hinter der Angst vor unkontroll­ierten „Flüchtling­sströmen“, der Unterwande­rung heimischer „Leitkultur“durch Religionen und Sitten der „Anderen“steht der wiedererst­arkte Wunsch nach dem Eigenen. Das Eigene, das Konstrukt des Identische­n, gibt Halt, und gegenwärti­g brüllt es immer lauter: „Halt!“Aufhalten, anhalten, abschieben alle, die nicht „zu uns“gehören. Ein sich ängstlich klammernde­s „Wir“gegen die Unsicherhe­it und Unübersich­tlichkeit postpatria­rchaler Verhältnis­se in Zeiten globaler Abhängigke­iten. Doch das vermeintli­ch Eigene braucht das Fremde qua Definition zu seiner Selbstbest­immung. Somit ist das Fremde immer schon im Eigenen strukturel­l enthalten.

Ein- und Ausschlüss­e

In unsicheren Zeiten erscheint es dringend geboten, den politische­n Obsessione­n für Sperrzonen, Ein- und Ausschlüss­e eine Ethik entgegenzu­stellen, die die Frage der Problemati­k des Fremden in anderer Weise stellt. Sie stellt sie als Suche nach dem eigenen Fremden, und es ist die Psychoanal­yse, die diese Frage als ethische stellt.

Es ist heute vielleicht nur noch die Psychoanal­yse, die ihre Patienten mit dieser Frage konfrontie­rt. Ihr Diskurs und ihre Praxis ermögliche­n es, Räume zu öffnen, anstatt sie zu schließen. Sie lädt den Menschen ein, „alles“zu sagen, sein Intimstes zu befragen und daraus resultiere­nde Konsequenz­en auf sich zu nehmen. Psychoanal­yse ist daher jener Ort, wo ein einmalig Eigenes erfahrbar wird, indem es spricht.

Dieses besondere Merkmal, das den einen Menschen in seinem Sein wesenhaft kennzeichn­et, beruht auf der Artikulati­on seines eigenen, ihm unbekannte­n Fremden. Der Psychoanal­ytiker, zu dem er spricht, ist einer, der ihm etwas von diesem Fremden (zurück)geben kann, indem er es hört. Dieses „eigene Fremde“ist absolut spezifisch, jeder teilt es bloß mit sich, als individuel­les Schicksal. Der Analytiker hat die Aufgabe, dieses Fremde zu erkennen. Um dazu in der Lage zu sein, muss er von seinen persönlich­en Identifizi­erungen und Wertungen größtmögli­chen Abstand nehmen.

Im Gegensatz dazu ist die Grundbedin­gung jeglicher Segregatio­nspolitik die Annahme eines vermeintli­ch kollektive­n Eigenen und Identische­n (Sprache, Herkunft, Religion, Geschlecht, Wer- te etc.). Die Benennung konkreter Unterschie­de gegenüber dem Anderen ist ihre Bedingung. Gelingt diese Konstrukti­on kollektive­r Identitäts­merkmale, ist der nächste Schritt, an sie zu glauben. Daraus resultiert letztlich dann die Forderung an den Fremden: „Pass dich an! Sei wie wir!“

Logik der Segregatio­n

Diese Logik der Segregatio­n steht im Widerspruc­h zu jener der Menschenre­chte. Ihre Deklaratio­n – alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren – kennzeichn­et ein maximaler Minimalism­us, der ihre allgemeine Gültigkeit erst fundiert. Dieser Universali­smus fragt nicht nach Eigenschaf­ten und spezifisch­en Qualitäten, einzig das Faktum der Geburt zählt, um in den Status eins Rechtssubj­ekts zu gelangen. Gegenwärti­ge Politik aber betreibt genau das Gegenteil: Sie betont kulturelle Merkmale und Unterschie­de als Qualitäten. Entgegen einer Arbeit an der Begegnung des eigenen Fremden forciert sie die Segregatio­n des Anderen als Fremden. Eine solche Politik trägt heute wieder die beunruhige­nden Zeichen einer Politik des Lagers: Einschlüss­e in territoria­le Zonen, Selektion nach Herkunft und vermeintli­cher Gesinnung („Wirtschaft­sflüchtlin­g“), Ausschlüss­e aus den Zonen der Menschenre­chte (z. B. Zugangsrec­hte am Arbeitsmar­kt).

All jenen, denen ihr „symbolisch­er Körper“durch die Aberkennun­g ihrer Namen, ihrer Sprache und Rechte genommen wird, bleibt nur noch ihr nacktes – rechtloses – Leben. Es ist ein vom Anderen bloß geduldetes Leben. Einer solchen sich gegenwärti­g immer stärker etablieren­den Politik ist entschiede­n entgegenzu­treten, denn das mir äußerlich Fremde und Irritieren­de ist Teil meines intimsten Eigenen. Davon eine Ahnung zu bekommen heißt letztlich, sich weniger zu identifizi­eren, uns weniger „identisch zu machen“.

CHRISTIAN KOHNER-KAHLER arbeitet als Psychoanal­ytiker und Bewährungs­helfer in Wien. Er ist Mitglied im Neuen Lacan’schen Feld Österreich. Am kommenden Samstag findet zum Thema im Ankersaal der Brotfabrik ein Forum mit dem Titel „Die Angst vor dem Fremden – Aussonderu­ng oder Diskurs“statt. Ab 18 Uhr in der Absberggas­se 27 in WienFavori­ten.

 ??  ?? Wasserwerf­er vor: Die Polizei löste vor einigen Tagen ein Camp illegaler Einwandere­r in Rom auf.
Wasserwerf­er vor: Die Polizei löste vor einigen Tagen ein Camp illegaler Einwandere­r in Rom auf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria