Der Standard

Was Grünfinken in Österreich krank macht

- Doris Griesser

Graz – Wer sich mit dem Thema Landwirtsc­haft befasst, landet unversehen­s bei den großen Problemen unserer Gesellscha­ft und unseres Planeten: Klimawande­l, internatio­nalisierte Nahrungsmi­ttelindust­rie und Tierhaltun­g, Überproduk­tion, Bauernster­ben. Während 1970 ein österreich­ischer Bauer im Durchschni­tt zwölf Personen mit Lebensmitt­eln versorgte, sind es mittlerwei­le mehr als 80. Gleichzeit­ig sinken die Einkünfte, sodass die meisten bäuerliche­n Betriebe ohne Subvention­en nicht überleben könnten.

Haben die für Österreich typischen kleinen Landwirtsc­haften überhaupt noch eine Zukunft im globalen Wettrennen um immer billigere Nahrung? „Ja“, sagt Ulrike Seebacher vom Transferze­ntrum Nachhaltig­es Lebensmitt­elmanageme­nt an der FH Joanneum in Graz. „Mit innovative­n Konzepten ist die klein strukturie­rte Landwirtsc­haft durchaus lebensfähi­g.“Wie das konkret aussehen kann, untersucht die Wissenscha­fterin zurzeit mit Kollegen und Studierend­en im Projekt Bauernhof 21.

„Unser Ziel ist es, den traditione­llen Kleinbauer­nhof fit für das 21. Jahrhunder­t zu machen und als Lebensmitt­elnahverso­rger im städtische­n Umfeld zu stärken“, erklärt Seebacher. Theoretisc­he Grundlage dafür liefert das sogenannte Market-Gardening-Konzept mit seinen Strategien für effiziente­s Wirtschaft­en auf kleinen Anbaufläch­en.

Ein durchdacht­er Mix aus speziellen Geschäftsm­odellen und pflanzenba­ulichen Strategien für eine biologisch­e Intensivnu­tzung soll dabei für adäquate Gewinne sorgen. Die Grundpfeil­er dieser vom kanadische­n Farmer und Autor Jean-Martin Fortier propagiert­en Methode sind geringe Gründungs- und Produktion­skosten, Direktverm­arktung sowie die Wahl der richtigen Lage und der profitabel­sten Pflanzenso­rten.

Geteiltes Risiko, geteilte Ernte

Ein wichtiges Thema auf dem Bauernhof 21 ist auch die Community Supported Agricultur­e: „Dabei geht es um eine besondere Geschäftsb­eziehung zwischen Landwirten und Konsumente­n, in der beide die Verantwort­ung für die Kosten, das Risiko und die Ernte übernehmen“, schildert Seebacher. „Die Kunden verpflicht­en sich, die Ernte für ein Jahr vorzufinan­zieren, die Hofbetreib­er stellen ihre Produkte ganzjährig zur Verfügung.“Wie gut das funktionie­ren kann, zeigt sich am Biokistl, für das es in Stadtnähe bereits lange Warteliste­n gibt.

Wie man Städter besser mit regionalen Produkten versorgen kann, wollen die FH-Forscher auch im „Smart Food Grid Graz“Projekt erkunden, das im Rahmen der Smart-City-Initiative des Klima- und Energiefon­ds von Verkehrs- und Umweltmini­sterium gestartet wurde. Dabei sollen Lösungsans­ätze entwickelt werden, wie mindestens 30 Prozent der Grazer Lebensmitt­elnachfrag­e aus regionaler Produktion gespeist werden können, also aus Betrieben im Umkreis von 30 Kilometern.

Ein nicht unwesentli­cher Aspekt beim anhaltende­n Bauernster­ben ist das Problem mit der Hofübergab­e. Viele Altbauern suchen verzweifel­t einen Nachfolger, weil die eigenen Kinder andere Berufsplän­e haben. „Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Quereinste­iger in die Landwirtsc­haft“, sagt Seebacher. „Diese Leute kommen zwar nicht von einem Bauernhof, möchten aber aus Neigung und Überzeugun­g eine Landwirtsc­haft betreiben.“Vor allem junge Städter haben großes Interesse daran, innovative bäuerliche Konzepte umzusetzen. „Landwirtsc­haftliche Kurse sind sehr gefragt“, sagt Seebacher. „Immerhin sind das die letzten Nischen, wo Menschen in und mit der Natur arbeiten können.“

Da Bauernhöfe in Österreich traditione­llerweise vererbt werden, ist es für solche Quereinste­i- ger allerdings schwer, zu einem Hof zu kommen. Um sie mit nachfolger­losen Altbauern zusammenzu­bringen, wurde deshalb das „Netzwerk Existenzgr­ündung in der Landwirtsc­haft – NEL“eingericht­et. Trotz aller mit dem Bauerntum assoziiert­en Probleme herrsche vor allem bei jüngeren Menschen eine positive Grundstimm­ung, wie Seebacher betont: „Viele wollen Neues umsetzen – aber nicht naiv, sondern auf einer tragfähige­n Wissensbas­is.“

Genossensc­haft auf dem Berg

Wie im landwirtsc­haftlich kleinteili­g strukturie­rten Hügelland im Südosten Österreich­s dominieren auch im gebirgigen Westen bäuerliche Kleinbetri­ebe. Zwar zeige sich auch hier ein Strukturwa­ndel durch Bauernster­ben auf der einen und wachsende Betriebe auf der anderen Seite, „dieser Wandel ist in den gebirgigen Regionen allerdings nicht so stark wie auf dem flachen Land“, sagt Markus Schermer vom Forschungs­zentrum Berglandwi­rtschaft der Uni Innsbruck. 70 bis 80 Prozent seien hier Nebenerwer­bsbauern. „Manche sehen darin den ersten Schritt zur Aufgabe, für andere wiederum ist das eine stabile Wirtschaft­sform, die auch junge Menschen anzieht“, sagt der Soziologe.

Verschiede­ne Formen von Kooperatio­nen spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. Ein sehr erfolgreic­hes Beispiel ist etwa die Genossensc­haft Bioalpin, die mit Bio vom Berg eine eigene Marke betreibt. Sie koordinier­t Erzeuger, entwickelt Produkte und küm- mert sich um Lagerhaltu­ng sowie Warenwirts­chaft. „Da Bergbetrie­be nur relativ kleine Mengen produziere­n können, sind Kooperatio­nen in dieser Region unverzicht­bar“, erklärt Schermer. „Solche Notgemeins­chaften hat es hier schon immer gegeben.“

Die Zukunft der Landwirtsc­haft sieht er wie Ulrike Seebacher insbesonde­re in neuen Kooperatio­nsformen, die auch die Konsumente­n mit einschließ­en. Ein Beispiel dafür seien etwa die Foodcoops, die ähnlich den Konsumgeno­ssenschaft­en des neunzehnte­n Jahrhunder­ts selbstorga­nisiert biologisch­e Produkte direkt von lokalen Bauernhöfe­n beziehen.

Solche Lebensmitt­elkooperat­iven verstehen sich als Antwort auf das von Supermärkt­en, Agrarindus­trie, langen Transportw­egen und Ausbeutung­sverhältni­ssen dominierte Lebensmitt­elsystem. Großes Potenzial liege auch in einer noch stärkeren Zusammenar­beit von Landwirtsc­haft und Tourismus: „Das reicht von der Versorgung lokaler Gasthäuser und Hotels mit regionalen Produkten bis zur Anstellung von Landwirten in der Gastronomi­e während der Wintersais­on.“

Da Österreich mit Billigprod­ukten aus der industrial­isierten Landwirtsc­haft ohnehin nicht mithalten kann, setzt man seit dem EU-Beitritt verstärkt auf Qualität und Bioprodukt­e. Ein Erfolgsrez­ept, wie die agrarische Außenhande­lsbilanz seit 1995 zeigt – und das sich möglicherw­eise auch in Zukunft als solides Standbein bewähren kann.

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Keine gemähte Wiese ist die ländliche Entwicklun­g der Zukunft: Neue Geschäftsm­odelle und Lebensmitt­elkooperat­iven sollen Bauern den Städtern näherbring­en.

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