Der Standard

Polen ruft nach Kriegsents­chädigung

Kritiker sprechen vom Missbrauch der Geschichte durch die Regierung in Warschau

- Gerald Schubert

Warschau/Wien – Mitten im aktuellen Streit mit Brüssel über die Gefährdung der polnischen Rechtsstaa­tlichkeit verschärft die nationalko­nservative Regierung in Warschau nun auch den Ton gegenüber Berlin. Außenminis­ter Witold Waszczykow­ski bekräftigt­e am Montag in einem Radiointer­view mögliche Entschädig­ungsforder­ungen an Deutschlan­d im Zusammenha­ng mit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Reparation­en könnten sich auf mehr als eine Billion Dollar (840 Milliarden Euro) belaufen, erklärte Waszczykow­ski – eine Summe, die zuvor bereits Innenminis­ter Mariusz Błaszczak genannt hatte. Man müsse nun mit Deutschlan­d ein „ernstes Gespräch“führen. Die bilaterale­n Beziehunge­n seien „überschatt­et von der deutschen Aggression 1939 und von Fragen, die nach dem Krieg nicht geregelt wurden“.

Verteidigu­ngsministe­r Antoni Macierewic­z schlägt in dieselbe Kerbe. Ein Verzicht Polens auf Reparation­szahlungen aus dem Jahr 1953 würde an den derzeitige­n Forderunge­n nichts ändern. Grund: Polen sei damals ein von der Sowjetunio­n abhängiger Marionette­nstaat gewesen. „Ohne jede Diskussion sind die Deutschen den Polen Kriegsrepa­rationen schuldig“, so Macierewic­z.

Alte Verträge

Experten sind jedoch der Ansicht, dass Warschau den Verzicht auf Reparation­szahlungen später bestätigt hat. Dariusz Pawlos von der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung etwa verweist auf den deutsch-polnischen Nachbarsch­aftsvertra­g vom Juni 1991. Einen finanziell­en Schlussstr­ich kann man dort aber bestenfall­s implizit erkennen: Von der Kriegsverg­angenheit ist in dem Vertrag nur im Zusammenha­ng mit wechselsei­tiger Kriegsgräb­erfürsorge die Rede.

Doch auch Berlin geht davon aus, „dass Polen 1953 verbindlic­h auf Reparation­szahlungen ver- zichtet hat“, wie es der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s bereits vergangene Woche in einem Bericht festhielt. Außerdem regle der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“vom September 1990 „nach Auffassung der Bundesregi­erung abschließe­nd alle Rechtsfrag­en bezüglich der Kriegsfolg­en und Reparation­spflichten“.

Ins Gespräch gebracht hatte die Forderunge­n PiS-Chef Jarosław Kaczyński im Juli. Danach tauchten in Warschau Plakate mit dem Text „Reparation­en machen frei“auf, in Anspielung an die zynischen Worte am Tor des ehemaligen deutschen Konzentrat­ionslagers Auschwitz in Polen. Die heutige Gedenkstät­te Auschwitz hat die Plakate als „primitive Manipulati­on“verurteilt.

Regierungs­kritiker in Polen sprechen im Zusammenha­ng mit den Reparation­sforderung­en vom Missbrauch der Geschichte. Die PiS wolle zeigen, dass Berlin kein Recht habe, Warschau in Sachen Demokratie zu belehren.

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