Der Standard

Umkehr Richtung Griechenla­nd

Flüchtling­e kehren zurück mit Stopp in Mazedonien

- Adelheid Wölfl aus Veles

Zuerst sah sie sie, wie sie zwischen den Eisenbahnw­agons auf der Kupplung stehend an ihr vorbeiraus­chten. Das war im Frühjahr 2015, als die Balkanrout­e noch geschlosse­n war und die Flüchtling­e nicht legal durch Mazedonien durchreise­n konnten. „Sogar dafür, dass sie auf diesen Kupplungen stehen durften, mussten sie bezahlen“, erzählt Lenče Zdravkin. Wie kaum jemand hat sie die Flüchtling­skrise mitverfolg­t und half tausenden Menschen. Auf Facebook wurde sie zum Star der Flüchtling­e.

Die zierliche Frau lebt direkt an der Eisenbahn in der zentralmaz­edonischen Stadt Veles. Ihre Hausbank ist vielleicht zwei Meter von den Schienen entfernt. Am Anfang gab sie den Flüchtling­en zu essen und zu trinken. Später richtete Lenče Zdravkin ein Kleiderdep­ot ein. Auch heute kann man hier noch Schuhe, Jacken, Decken oder sogar ein Fahrrad bekommen. Frau Zdravkin versorgt zudem bedürftige Mazedonier, von denen es ebenfalls sehr viele gibt.

Erneut Flüchtling­e

Heute, eineinhalb Jahre nach der Schließung der mazedonisc­hgriechisc­hen Grenze und der vollen Umsetzung der Dublin-Regelung, kommen erneut Flüchtling­e zu Frau Zdravkin. Allerdings aus der umgekehrte­n Richtung – nämlich aus Serbien. Sie waren zuvor monatelang in meist illegalen Camps. In Serbien leben seit der Schließung der Balkanrout­e tausende Migranten. Die meisten schaffen es aber nicht weiter nach Norden. „Deshalb gehen sie nun Richtung Griechenla­nd zurück“, so Zdravkin. Dort wollen sie um Asyl ansuchen, weil es sich um einen EU- Staat handelt. Auf der Rückreise kehren sie zum zweiten Mal in das Haus an den Geleisen zurück und essen mit Frau Zdravkin, die zur bekanntest­en Anlaufstel­le für Mitmenschl­ichkeit auf dem Balkan wurde.

In Serbien selbst suchen die wenigsten um Schutz an. Die Migranten waren ja aus Afghanista­n aufgebroch­en, um nach Deutschlan­d zu kommen, als die Route noch offen war. Ein paar von ihnen schaffen es trotz der massiven Grenzkontr­ollen nach wie vor ans Ziel. Deshalb kommen auch heute noch einige wenige über die Balkanrout­e nach Österreich.

In Serbien haben im Vorjahr 574 Personen um Asyl angesucht – über 100 Anträge wurden abgelehnt, viele Verfahren sind noch anhängig. Der heutige serbische Präsident Aleksandar Vučić meinte vor einiger Zeit, dass Serbien kein „Parkplatz für Afghanen und Pakistaner sein könne, die andere Länder nicht sehen wollen“.

Zdravkin erzählt auch von Einzelfäll­en, die noch von Griechenla­nd nach Mazedonien kommen. „Oft sind sie schwer krank und völlig erschöpft, weil sie Wasser aus dem verschmutz­ten Fluss Vardar getrunken haben“, meint sie. Die Flüchtling­e müssten sich schließlic­h permanent verstecken. Frau Zdravkin versucht, sie gemeinsam mit befreundet­en Helfern ärztlich zu versorgen. Sie hat auch Kontakt zu manchen Angehörige­n jener 14 Flüchtling­e, die im April 2015 in Veles von einem Zug überrollt und getötet wurden. Sie waren auf den Eisenbahns­chienen gegangen, um sich zu verbergen. Zdravkin denkt an, dass manche der afghanisch­en Angehörige­n einmal nach Veles reisen könnten, um die Gräber der Toten zu besuchen.

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Foto: Wölfl Lenče Zdravkin hat tausenden Flüchtling­en geholfen.

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