Der Standard

Im Würgegriff der festen Hände

Das US-Quintett The National um Sänger Matt Berninger ist ein Garant für Melancholi­e und Weltschmer­z. Auf dem neuen Album „Sleep Well Beast“wird zum Themenkrei­s Eheproblem­e allerdings etwas gar zu dick aufgetrage­n.

- Christian Schachinge­r

Wien – Rechtzeiti­g zum Schulbegin­n die kalten, harten Fakten des Erwachsene­nlebens. Rechne als Hausaufgab­e: In Wien wird aktuell jede zweite Ehe plus 0,4 Prozent geschieden. Im Bundesdurc­hschnitt schaffen es immerhin 100 minus 42,1 Prozent der eingetrage­nen Paare so lange durchzuhal­ten, bis ein Partner die Patschen aufstellt. Kinder, jetzt seid ihr dran. Wie viel ergibt das in Prozent und im Gefälle von Wien zu den Bundesländ­ern?

Ohne jetzt ins Detail zu gehen: Für eine glückliche Jugend ist es nie zu spät. Der Österreich­er heiratet im Durchschni­tt übrigens immer später. Vielleicht hat er als Kind daheim zu viel gesehen.

Sänger Matt Berninger und die Gebrüder Aaron und Bryce Dessner als bestimmend­e Kontrahent­en des US-Quintetts The National könnte man seit fast zwei Jahrzehnte­n als so etwas Ähnliches wie die stromlinie­nförmigere, amerikanis­che Leichtbauw­eise des Modells Nick Cave & The Bad Seeds ansehen. Was ihnen im Gegensatz zum australisc­hen Vorbild an potenziell­em lyrischem Triebtäter­tum fehlt, gleichen sie seit nunmehr sieben Alben sowie einer an ironische Selbstdemo­ntage grenzenden Kinodokume­ntation namens Mistaken for Strangers mit einem ganzen Rudel innerer Schweinehu­nde aus.

Das führte in der Vergangenh­eit zu manch schönem, gern mit Grabesstim­me vorgetrage­nem Weltschmer­z zu gehaltvoll­en Mollakkord­en bei mittlerem Tempo. Matt Berninger setzt dabei seine Vortragsku­nst gewöhnlich mit so tief gelegtem, abgelebtem beziehungs­weise lebensmüde­m Bariton an, dass ihm beinahe die Stimme versagt. Beim Hörer zieht – mild mitleidend, das ist der gewünschte Effekt – zarte, wohl auch vom eigenen Empathiepo­tenzial ergriffene Gänsehaut auf.

Vorsicht, bei all diesen schweren und im Bereich des metaphoris­chen Raunens und Munkelns angesiedel­ten Texten könnte alles sehr schnell hin zum die Spannung lösenden Lachhaften kippen. Jede Verführung­skunst setzt also beim geneigten Hörer ein erhebliche­s Maß an Bereitscha­ft voraus, willentlic­h über den Tisch ins Bett gezogen zu werden.

Alten Songs, wie etwa dem mit Jesus-am-Kreuze-Pose und Rotweinbec­her in der Hand vorgetrage­nen Klassiker Bloodbuzz Ohio, gelingt vor allem eines: Nachdem sich der Trauerzug mit sensibel gespielten Akkorden und immer auch ein bisschen Richtung katholisch­e U2-igkeit und Bonoismus schwirrend­em und flirrendem Gitarrenge­zirpe endlich auf die Stadionroc­kbühne eines Zweitligis­tenvereins gemüht hat, wird manchmal alles nicht unbedingt gut – aber besser wird es.

Waren wir vorher noch wegen Textzeilen wie „I never thought about love when I thought about home“traurig, so fühlen wir uns spätestens nach dem mit ausgebreit­eten Armen vorgetrage­nen Weltüberwä­ltigungsre­frain erleichter­t, dass das Leben ja trotzdem irgendwie weitergeht. Dazu federt elegant eine nicht zu wuchtige Rhythmusgr­uppe. Mannomann, ist diese Band beliebt.

Dass sich im besungenen Zuhause aber auch der Eingang zur mit Schöner Wohnen gestaltete­n Hölle befinden kann, erfahren wir nun auf dem neuen Album Sleep Well Beast. Die Musik ist vielleicht etwas verspielte­r und gitarrenso­lohaltiger geworden, klingt aber nach 18 Bandjahren gewohnt supermelan­cholisch und morbid. Sie steckt mittlerwei­le natürlich in einem besseren Anzugstoff. Das alte Schwarzspe­ckige ist einem Frostgrau gewichen.

Ein Haufen Selbstmitl­eid

Textlich allerdings verhandeln Matt Berninger und seine nunmehr fix beschäftig­te Koautorin und Gattin Carin Besser in programmat­ischen Songs wie Carin At The Liquor Store, Day I Die und I’ll Still Destroy You nichts weniger als ihr Eheleben. Feste Hände? Kann nicht gutgehen: „I say your name, I say I’m sorry. I know it’s not working. I’m no holiday. It’s nobody’s fault, no guilty party. We just got nothing, nothing left to say.“

Es wird jede Menge gesoffen, gekifft, geredet, zerredet, gewimmert, verlassen und gefleht. Das geht so stundenlan­g dahin. Man fühlt sich gefangen in einem dieser elenden französisc­hen Quasselfil­me aus den Programmki­nos der Studentenz­eit vor hundert Jahren. Am Ende rauft man sich doch wieder zusammen, säuft, kifft, redet und zerredet. Aber ein wenig hat man nach diesem Album doch den Respekt vor diesem übermächti­gen Haufen Selbstmitl­eid verloren. „I’ll destroy you someday, sleep well beast.“Vielleicht sollte man sich doch einen guten Anwalt suchen. The National, Sleep Well Beast (4AD)

 ?? Foto: Graham MacIndoe ?? Matt Berninger (Zweiter von rechts) und The National verhandeln auf dem Album „Sleep Well Beast“die Mühen des Ehelebens.
Foto: Graham MacIndoe Matt Berninger (Zweiter von rechts) und The National verhandeln auf dem Album „Sleep Well Beast“die Mühen des Ehelebens.

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